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070 Kunst<br />
Raymond Pettibon<br />
RAFFINIERT<br />
VERSCHLÜSSELT<br />
Das Werk von<br />
Raymond Pettibon<br />
verästelt sich in<br />
Anspielungen<br />
und Codes. Vieles<br />
lässt sich erst<br />
entschlüsseln,<br />
wenn man seine<br />
Vergangenheit in<br />
der Punk-Szene<br />
entdeckt. Felix<br />
Klopotek gibt<br />
einen Einblick<br />
angesichts der<br />
Ausstellung in der<br />
Berliner Galerie<br />
CFA.<br />
R aymond Pettibons älterer Bruder ist Gregg<br />
Ginn, Gitarrist und Bandleader von Black Flag,<br />
einer der wichtigsten amerikanischen Hardcore-Bands,<br />
außerdem Betreiber des in den<br />
80er Jahren einflussreichen SST-Labels. Die Verbindung<br />
Pettibon-Ginn wird heute in der Regel deshalb nicht weiter<br />
erwähnt, weil die Brüder schlicht nichts mehr miteinander<br />
zu tun haben. Vor 25 Jahren war das noch anders,<br />
da zierten Pettibons Arbeiten die meisten SST-Cover. So<br />
sind die Black-Flag- und Minutemen-Alben untrennbar<br />
mit Pettibon, der selbst nie <strong>als</strong> Gebrauchsgrafiker für SST<br />
arbeitete, verbunden. Als sich der Autor dieser Zeilen vor<br />
einigen Jahren mit Pettibon anlässlich seines Auftritts<br />
mit der Konzept-Free-Jazz-Truppe Blank unterhielt, war<br />
dessen Reaktion auf die Frage nach seinem Bruder nur<br />
ein Schulterzucken. Über Jazz und die Weathermen, Surfen<br />
und Punk – darüber wollte er reden! Aber sein Bruder?<br />
Familienbande verpflichten zu nichts. Nichtsdestoweniger<br />
kann Ginns Musik helfen, einen Zugang zum<br />
Werk seines Bruders zu finden. Pettibons Werk ist raffiniert<br />
verschlüsselt, vollgesogen mit amerikanischer Popkultur<br />
– wobei Popkultur <strong>als</strong> Totalität zu verstehen ist. Auf<br />
der Oberfläche ist sein Werk geradezu verführerisch klar.<br />
Man ist schnell mit Charakterisierungen dabei: Pettibon,<br />
der Chronist amerikanischer Albträume, der geniale Comic-Dekonstrukteur,<br />
die Wiedergeburt Roy Liechtensteins<br />
<strong>als</strong> Punk. Wirklich tief in das Verstörende seiner Kunst reichen<br />
diese Zuschreibungen nicht.<br />
Fundamental verstörend waren auch Black Flag: Ihr<br />
Hardcore war – ja, was eigentlich genau? Politisch? Improvisiert?<br />
Laut, hart, schnell? Quälend langsam? Chaotisch?<br />
Konzeptionell? Black Flag und mit ihnen die gesamte<br />
SST-Szene haben Punk gespielt, ohne dessen Ästhetik<br />
der Schlichtheit. In ihrer Musik hat sich die Geschichte der<br />
amerikanischen 60er-Jahre-Gegenkultur aufgespeichert<br />
– <strong>als</strong> untergegangene und im Drogenwahn und in Gewaltexzessen<br />
ausgelöschte Utopie. Nur noch <strong>als</strong> Nihilismus<br />
(verknüpft mit einer existenzialistischen Do-It-Yourself-<br />
Philosophie, wie sie heute noch Henry Rollins und Mike<br />
Watt zelebrieren) ließ sich ihr die Treue halten. »All our<br />
times have come / Here but now they’re gone«, heißt eine<br />
Textzeile der in SST-Kreisen hochverehrten Spät-Hippie-Band<br />
Blue Öyster Cult. Pettibon ist dieser Punk-Szene<br />
entwachsen. Seine Kunst ist eine große Giftmülldeponie<br />
und gleichzeitig ein Dekontaminator. Davon spricht auch<br />
seine Ausstellung in der Berliner Galerie Contemporary Fine<br />
Arts. Die ist ironischerweise »No Title« benannt. Als ob<br />
der Sex, die Gewalt, die Lüge, der Körperkult und die Politik,<br />
die seine Arbeiten thematisieren, nie wirklich an die<br />
Oberfläche dürften. Aber man entkommt der Gewalt trotzdem<br />
nicht. Das Unheimliche ist bei ihm stets anwesend –<br />
und trotzdem szenisch und gestisch, in bloß angedeutete<br />
Storys gebannt. Dazu passt die Konstruktion seiner Arbeit:<br />
Die Zeichnungen sind gespickt mit Textfragmenten,<br />
Parolen, Versen, die man <strong>als</strong> Kommentare lesen kann, die<br />
aber nicht <strong>als</strong> solche gedacht sind, eher <strong>als</strong> Erweiterung<br />
der zeichnerischen Arbeit, <strong>als</strong> weitere Ebene. Es wird nicht<br />
deutlich, wer spricht, wer angesprochen wird. Es ist die<br />
pure Präsenz der Irritation. Black Flag wurden bewundert,<br />
weil sie die Wut und den Hass (auf den amerikanischen<br />
Traum) so perfekt umschmolzen – in Musik, in die Autonomie<br />
einer Band. Pettibon folgt dieser Punk-Methode, aber<br />
lakonischer, achselzuckender, abgründiger. Seine Kunst<br />
zeigt: Black Flag waren noch viel zu utopisch.<br />
Auf intro.de findet sich ein Exklusiv-Interview mit Ray