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Die Wolfacher Fasnet - Netz-Seite

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Schrader: <strong>Die</strong> <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> und ihre Gestalten <strong>Seite</strong> 100<br />

2.4.2. Freie Maskierungen bei Bällen, Umzügen und Festspiel<br />

In Wolfach gibt es eine Vielzahl von Maskierungen, die nur gelegentlich zu sehen sind, die aber dennoch zum<br />

festen Bestandteil des <strong>Fasnet</strong>brauchtums zählen. In der Narrenkammer findet sich ein großer zunfteigener<br />

Kostümfundus mit Ritterrüstungen, einem großen Bär, den biedermeierlichen Kostümen für die Darsteller des<br />

<strong>Fasnet</strong>spieles <strong>Die</strong> Weibermühle, einem großen Kamel, das von zwei Personen getragen wird, einem als Reittier<br />

dienenden Geißbock, einem Stier usw., die immer mal wieder an <strong>Fasnet</strong>, insbesondere beim Festspiel, auftauchen.<br />

Als Vorbild für die Helme, Rüstungen und Kleidung der Burgbesatzung, die vor allem im 1933 erstmals<br />

aufgeführten und seither mehrfach wiederholten Festspiel <strong>Die</strong> Befreiung der Freude von J. Krausbeck zum Einsatz<br />

kommen, diente die 1506 gegründete Schweizer Garde des Vatikans, deren Kleidung der Legende nach der<br />

Renaissancekünstler Michelangelo (1475-1564) entworfen haben soll 836 . <strong>Die</strong> Pappmaché-Helme in Form eines<br />

Morions 837 wurden mit Hilfe eines Gipsmodells geformt 838 .<br />

Bei den freien Maskierungen erfreut sich die Travestie ‚Tragen der Kleidung des jeweils anderen<br />

Geschlechts, meist Frauenkleider von Männern, seltener umgekehrt 839 ‘ großer Beliebtheit; das Wort geht zurück<br />

auf das franz. travesti ,Verkleidung’, gebildet aus lat. trans ‚hinüber’ und vestire ‚kleiden’ 840 . Welche Möglichkeiten<br />

sich dadurch mitunter zur <strong>Fasnet</strong>zeit bieten, zeigt ein Erlebnis von J. Krausbeck aus der Zeit des 3.<br />

Reichs, als er die örtlichen Nazigrößen blamierte. Dem NSDAP-Ortsgruppenleiter Alfred Albanus und dem<br />

NSDAP-Kreispropagandaleiter Otto Baum war Krausbeck ein Dorn im Auge, weil dieser in der katholischen<br />

Jugendarbeit sehr aktiv war 841 . Den soll der Teufel holen schimpfte denn auch Albanus wiederholt über<br />

Krausbeck. Doch an der <strong>Fasnet</strong> gelang es Krausbeck, den hohen Herren eins auszuwischen 842 :<br />

Bei der <strong>Fasnet</strong> 1936 zogen ein paar junge <strong>Wolfacher</strong> als alte Bauernweiber verkleidet durch die Lokale, wo<br />

sie dann erst auf A[lbanus] und später auf B[aum] stießen. Eines der Weiber setzte sich den Herren auf den<br />

Schoß und ging ihnen um den Bart. »Gell, du hesch mich doch am liebschde vu alle?« 843 tat das Weib den<br />

Bonzen schön. <strong>Die</strong> stimmten natürlich zu und tatschten an dem vermeintlichen weiblichen Wesen herum. Erst<br />

später, als die rustikale Weiberschar verschwunden war, fragte man sich, wer die kesse Bäuerin gewesen sei.<br />

Als man das Rätsel auflöste, trank der Ortsgruppenleiter sein Bier aus und zahlte. Kein anderer als sein Erzfeind<br />

Krausbeck war ihm eben noch auf dem Schoße gesessen.<br />

<strong>Die</strong> besondere Leidenschaft des Buchhändlers Erich Sandfuchs, sich an der <strong>Fasnet</strong> als Frau zu verkleiden, inspirierte<br />

Georg Straub zu einem Gedicht über dieses fasnetliche Doppelleben 844 :<br />

Dem Gutheil-Erich 845 gewidmet<br />

Über d’<strong>Fasnet</strong> blüht bei uns ein Blümelein<br />

Und das heißt – Erika.<br />

Steckt sich gern in einen Weiberrock hinein<br />

‘S Blümelein Erika.<br />

Ja bei jedem Rummel ist es da<br />

Denn zu Wolfe’s <strong>Fasnet</strong> g’hört es ja,<br />

Wie der Hansel und der große Bretschelma<br />

‘S Blümelein – Erika.<br />

Gehts ans Schnurren, ist es sicher immer da<br />

‘S Blümelein – Erika.<br />

Spielts kein Weibchen, na da kommt es halt als Ma<br />

836<br />

Meyerscout 2003, s. v. Michelangelo. – <strong>Die</strong> Zuweisung an Michelangelo ist umstritten. Zur Geschichte der Schweizer Garde siehe Maier:<br />

Tapfer, redlich und treu dem Papst; Schidelko: Tradition und Effizienz.<br />

837<br />

Morion (Maurenkappe), von Spanien seit der Mitte des 16. Jh. ausgegangene Abart der Sturmhaube, die die Form eines halben Eies hatte<br />

und mit einem nach vorn und hinten schnabelförmig emporgebogenen Rand und beweglichen Backenstücken versehen war. Später fielen<br />

die letztern fort, und es trat auf dem Scheitel ein hoher Kamm hinzu (Fig. 12). Im 17. Jahrh. verflachte sich der Morion wieder zur<br />

Haube mit Stirnstulp, Naseneisen und Genickschutz, der bisweilen auf den Rücken herabreichte. Meyers Konversationslexikon VIII,<br />

364, s. v. Helm. – Das Wort stammt ab von span. morra ‚Oberteil des Kopfes’. Classic Encyclopedia, s. v. morion.<br />

838<br />

Museum Schloss Wolfach, Inventar-Nr. 1989/56 (Pappmaché-Helm); 1989/62 (Gipsmodell); 1990/6 (Gipsmodell, datiert „20. Jan. 1939“,<br />

gefertigt für das Festspiel „Der Weiberstreit“ von Gipsermeister Georg Rauter, der in der Kleinen Dammstraße 6 wohnte). – Im Museum<br />

befindet sich auch ein Brustpanzer aus Pappmaché, Inventar-Nr. 1989/57. – Von Georg Straub gibt es einen Bleistiftentwurf für eine<br />

sechseckige Glasmalerei, auf dem ein „Wallensteiner Landser“ mit Morion, Hellebarde und Brustpanzer zu sehen ist. Museum Schloss<br />

Wolfach, Inventar-Nr. 1989/9.<br />

839<br />

Travestie ist nicht zu verwechseln mit Transvestitismus ‚meist sexuell motivierte Neigung, sich wie ein Angehöriger des anderen<br />

Geschlechts zu kleiden oder zu benehmen’. dtv-Lexikon XVIII, 271, s. v. Transvestitismus.<br />

840<br />

Wahrig: Deutsches Wörterbuch, 3721, s. v. Travestie. – Zur Herkunft des lat. vestire siehe die Erklärung des Wortes Häs im Abschnitt<br />

1.3.2 <strong>Die</strong> Narren und ihr Häs.<br />

841<br />

Zur katholischen Jugendarbeit im 3. Reich siehe Stüble / Schmider: <strong>Die</strong> katholische Pfarrgemeinde, 51. – Ein <strong>Die</strong>nststellenverzeichnis der<br />

NSDAP und ihrer Gliederungen findet sich im Einwohnerbuch Landkreis Wolfach 1939, 7-10.<br />

842<br />

König: Bonzenschwarm.<br />

843<br />

‚Gell, du hast mich doch am liebsten von allen?’<br />

844<br />

Manuskript des Gedichts im Museum Schloss Wolfach, Inventar-Nr. 2009/515-91.<br />

845<br />

Sandfuchs war in Wolfach aufgrund seiner vielen Aktivitäten im Turnverein als „Gutheil-Erich“ bekannt.

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