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Die Wolfacher Fasnet - Netz-Seite

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Schrader: <strong>Die</strong> <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> und ihre Gestalten <strong>Seite</strong> 202<br />

5.3.6. Bredelin in Hansjakobs Erzählung „Madonna“<br />

Beim Toweis hatten auch einzelne Dorfschulmeister jener Tage ihre ständige Einkehr, vorab der Schneider<br />

Denzlinger von Hofstetten und die zwei Weber, Wölfle von Weiler und Volk von Bollenbach, die alle drei die<br />

Elemente des Wissens in ihren Gemeinden lehrten 1582 . [...]<br />

Der älteste der Dorfschulmeister war der Mathis; er lehrte schon, als die Schulmeister noch von den Bauern<br />

»umgeäzt« wurden und die zwölf Kreuzer jährliches Schulgeld pro Kopf selber einziehen mußten. Erst der Fürst<br />

Josef Wilhelm hob dies auf und entbot anno 1746 »allen Räten, Beamten, Schultheißen, Burgermeistern, Vögten<br />

und allen Untertanen und Inwohnern Gruß und Gnad und tat ihnen zu wissen,« daß das Schulgeld in die »Gemeindelade«<br />

zu zahlen sei und für arme Väter aus dieser genommen werde. Falls aber ein solcher Vater am<br />

Sonntag ins Wirtshaus gehe und zeche, müsse er das Schulgeld der Gemeindelade wieder ersetzen.<br />

Trotzdem traf es dem Wölfle-Mathis und dem Weber in Bollenbach nur 40 Gulden jährliches Gehalt, dem<br />

Schneider in Hofstetten sogar nur 26. Außerdem erhielt noch jeder alljährlich von jedem Bauer zwei Laibe Brot,<br />

einen auf Weihnachten, den andern auf Sommer-Johanni.<br />

Dazu kamen noch die winzigen Einkünfte als Organisten, die meist auch aus Brot bestanden, so für das<br />

Singen bei einer Kindsleich einen Laib, bei Beerdigung einer erwachsenen Person mit nachherigem Orgelschlagen<br />

drei Laibe.<br />

Am täglichen Brot im buchstäblichen Sinn fehlte es demnach den Schulmeistern nicht.<br />

Der König derselben saß damals im Städtle Husen und hieß Bredelin. Er war ein »verstickter Student« und<br />

somit der einzige studierte Lehrer der Herrschaft. Drum ernannte ihn die Regierung zum Prüfungskommissär<br />

aller Dorfschulen, und er machte auf das Geburtsfest des Fürsten schwungvolle Verse.<br />

Mit wahrem Respekt erzählten die eben genannten Handwerker und Schulmeister von seiner Weisheit. Ich<br />

habe von seinen Prüfungsbescheiden gelesen. <strong>Die</strong> würden heute noch jedem Kreisschulrat Ehre machen.<br />

Der Meister Bredelin war schon so modern, daß er gar zu viel auf gutes Deutschsprechen hielt und gegen<br />

den Dialekt zu Felde zog.<br />

Und der Dorfweber und Lehrer in Bollenbach schwang sich unter seinem Szepter so weit hinauf, daß er –<br />

was heute noch nicht erreicht ist – anno 1786 den Prüfungskommissär und die Ortsvorgesetzten von einem<br />

Schüler im Namen aller Schulkinder also anreden ließ: »Dem wohlgelehrten, uns von <strong>Seite</strong> hoher Stelle verordneten<br />

Visitator Bredelin, dem hochgelehrten Herrn Pfarrer, den ortsvorgesetzten Vögten entbieten wir,<br />

unseres besten Fürsten Kinder, den Willkommgruß. Wir schmeicheln uns zwar nicht, in allem Genugtuung zu<br />

leisten, bitten aber zum voraus um Vergebung und versprechen künftighin uns zu bessern.«<br />

Wer diese kurze Rede nicht, wie ich, der Schreiber dieses Büchleins, selbst gelesen, würde kaum glauben,<br />

daß ein Dorfweber des 18. Jahrhunderts diese klassisch kurze und doch alles besagende Rede gemacht und ein<br />

Bauernbüblein von Bollenbach an der Kinzig, Lorenz Neumaier benamset, sie gesprochen habe.<br />

Es ist eben die alte Geschichte, daß die Menschen früher im Verhältnis zum Grad ihrer Bildung viel vernünftiger<br />

waren als heutzutag, wo die Ueberkultur den gesunden Menschenverstand vielfach unterdrückt. –<br />

<strong>Die</strong> Lorbeeren, welche der Schulmeister von Husen errang, ließen die Haslacher Senatoren nicht schlafen.<br />

Ich glaub', wenn der Bredelin angewiesen worden wäre, auch in Hasle zu prüfen, es hätte eine neue Revolte<br />

abgesetzt.<br />

Den alten Franz Antoni Bechtiger, der die ganze Generation erzogen, wollten sie nicht absetzen, um einen<br />

Rivalen Bredelins zu bekommen. Aber ein »studierter« städtischer Provisor (Unterlehrer) sollte ihm an die <strong>Seite</strong><br />

gegeben werden. Es war kurze Zeit vor seiner eigenen Absetzung, da der Toweis den obgenannten Dorfschulmeistern<br />

den Beschluß des Rates, dem Bredelin Konkurrenz zu machen, mitteilte.<br />

Direkt von der hohen Schule in Freiburg, wo eben für die königlich kaiserlichen Normalschulen Studenten<br />

als Lehrer herangezogen wurden, sollte ein Provisor bestellt werden. Ein gewisser Rieger von dort ist bereit, als<br />

solcher nach Hasle zu kommen; aber er verlangt 300 Gulden Gehalt, also nicht viel weniger, als ein Obervogt<br />

hat.<br />

An dieser Riesensumme verschlägt sich seine Berufung.<br />

Ein Jakob Bruder von Löffingen meldet sich an seiner Statt um billigeres Geld und verspricht, »auch im<br />

Singen, Orgelschlagen und Geigen Satisfaktion zu geben«. Aber der Senat traut seiner Wissenschaft nicht, und<br />

auch der Jakob Bruder wird nicht Provisor.<br />

Da empfiehlt der Erzpriester Schmauz in Hofweier seinen Unterlehrer Nikolaus Blum aus Oberschwarzach<br />

im Würzburgischen. Der will dem Bredelin die Wage halten um 190 Gulden Jahreslohn und schickt als Schriftund<br />

Wissensprobe eine Abhandlung über den Römer Fabius Flaccus.<br />

Das imponiert den Haslacher Ratsherren mit Macht, und sie erhoffen sich von diesem Römerbeschreiber den<br />

Sieg über den Meister Bredelin von Husen.<br />

Er wird (1775) als Provisor angestellt, heiratet ein Jahr später des alten Bechtigers Tochter und wird dessen<br />

Nachfolger als Oberlehrer, muß aber dem Schwiegervater Kost und Wohnung geben für jährliche 85 Gulden und<br />

dessen Sohn als Provisor annehmen.<br />

1582 Hansjakob: Ausgewählte Erzählungen IV, 121-124.

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