Die Wolfacher Fasnet - Netz-Seite
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Schrader: <strong>Die</strong> <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> und ihre Gestalten <strong>Seite</strong> 35<br />
spieltradition wurde er 1989 – in jenem Jahr feierte er seinen 80. Geburtstag 294 – beim Festzug auf einem eigens<br />
gebauten Thron um die Stadt gefahren und beim Spiel Klappe auf in Wollywood als erster <strong>Wolfacher</strong> mit einem<br />
Hansel-Oscar ausgezeichnet. Hoch oben am Vorstadtberg prangte damals auf einer großen beleuchteten Holzwand<br />
der Schriftzug „WOLLYWOOD“ über dem Tal.<br />
<strong>Die</strong> bereits im 15. und 16. Jahrhundert feststellbaren strukturellen Unterschiede in der Gestaltung von Fastnachtspielen,<br />
die sich in drei Typen – Reihen- oder Revuespiele, Handlungsspiele sowie Mischformen aus<br />
beiden – unterteilen lassen 295 , finden sich auch in Wolfach. Neben den Stücken mit genau festgelegter Handlung<br />
entwickelte sich insbesondere in den Jahren zwischen 1970 und 1995 die Form des Gruppenfestspiels, bei dem<br />
die Bühnenauftritte der rund ein Dutzend Festspielgruppen mit ihren jeweils etwa 20 bis 40 Teilnehmern, die<br />
sich alljährlich zum vorgegebenen Thema eine passende Verkleidung ausdenken, nur durch eine lose, oft improvisierte<br />
Rahmenhandlung verbunden sind 296 . <strong>Die</strong> Gruppen kommen auf die Bühne, führen ihren überwiegend<br />
pantomimisch dargestellten Beitrag vor und verlassen dann die Bühne auf der anderen <strong>Seite</strong> wieder. Besonders<br />
beliebt sind dabei typische oder exotische Volksgruppen, wie beispielsweise Zigeuner, Indianer, Cowboys,<br />
Schwarzafrikaner, Eskimos, Russen, Orientalen, Franzosen, Italiener oder Spanier. Eine südländische Note<br />
bringt die aus dem 1966 gegründeten Clube Português hervorgegangene Grupo Português de Carnaval in die<br />
<strong>Fasnet</strong> 297 , die seit 1968 am Schellementig einen Stand mit Stinkelefisch ‚gebratenen Sardinen’ betreibt und sich<br />
seit 1971 alljährlich fantasievoll am Festzug und –spiel beteiligt.<br />
Seit Ende der 1990er-Jahre wird wieder vermehrt auf eine durchgehende Rahmenhandlung geachtet und ein<br />
Spieltext festgelegt, an dem sich die einzelnen Gruppen bei der Gestaltung ihres Auftrittes zu orientieren haben.<br />
Ein Musterbeispiel für diese literarische Spielform, die an die Festspieltradition des 19. Jahrhunderts anknüpft,<br />
ist das für den Schellementig 2003 von Bernd Schillinger und Anita Hauer-Böhler geschriebene Festspiel<br />
Udilhilt Jungfrau von Wolva, in dem auf närrische Weise die Vorgeschichte der 725 Jahre zuvor stattgefundenen<br />
Hochzeit zwischen der Freifrau Udilhilt, der letzten Vertreterin des <strong>Wolfacher</strong> Adelsgeschlecht 298 , und dem<br />
Grafen Friedrich von Fürstenberg geschildert wird. Nach der erfolgreichen nachmittäglichen Uraufführung des<br />
Spiels kam es erstmals in der Geschichte der <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> gegen Mitternacht auf der Festspielbühne zu<br />
einer zweiten Aufführung des Stückes in einer leicht abgewandelten, improvisierten Fassung 299 :<br />
<strong>Die</strong> fesselnde Magie der <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> – sie erreichte um Mitternacht des Schellementigs am 3.3.3 einen<br />
außergewöhnlichen Höhepunkt. Auf der Bühne vor dem Rathaus improvisierten alle Mitwirkenden des<br />
nachmittäglichen Festspieles eine zweite Fassung des Stückes vor den Augen und Ohren einiger Dutzend<br />
Narren.<br />
Eine kleine und große Trommel untermalten die Aufführung mit dem unergründlichen Ravel’schen Bolero-<br />
Rhythmus, verbreiteten eine mystische Atmosphäre auf dem finsteren Marktplatz, während Graf Konrad von<br />
Wolva (Martin Brod) auf seiner Burg einen weiteren Kampf um die Hand seiner Nichte Udilhilt (Klara<br />
Schmider) zwischen Fürst Friedrich von Fürstenberg (Ben Endres) und dem Zigeunerbaron Walther von<br />
Zollern 300 (Bernd Schillinger) verkündete. Unter lauten Fanfarenstößen stürzten sich, von LaOla-Wellen im<br />
Publikum begleitet, die wackeren Recken gleich dreimal aufeinander.<br />
Als Graf Konrad trotz wütender Proteste des Volkes den Fürsten zum Sieger erklärte, erscholl aus dem<br />
Publikum der immer lauter werdende Ruf »Wir sind das Volk«. Nun meldete auch Robin von Longbeach<br />
Before 301 (Stefan Decker) seine Ansprüche auf die holde Weiblichkeit an, aber Friedrich brach überraschend<br />
seinen Angriff auf ihn ab, um Robin in die Arme zu schließen und mit ihm in trauter Zweisamkeit die Szenerie<br />
zu verlassen. Darob erfreut erhielt der sich schon besiegt wähnende Zigeunerbaron die Gräfin zur Braut und<br />
ließ sich mitsamt Gefolge zu den Klängen des von der Narrenkapelle intonierten Hochzeitsmarsches in die<br />
Schlosshalle begleiten zu ausgiebigen Festivitäten mit 50 Litern Freibier.<br />
<strong>Die</strong> Festspiele werden immer durch ein mit viel närrischem Witz und künstlerischem Aufwand gestaltetes Festspielplakat<br />
angekündigt. Das älteste erhaltene Plakat stammt von 1862 302 , auf dem für das Indianer-Spiel<br />
Wampum 303 , genannt die große Schlange, oder: Siegestanz des Indianerstammes der Papuaner 304 nach einem<br />
294<br />
An seinem 80. Geburtstag am 19. Juni 1989 wurde Krausbeck in einer offenen Pferdekutsche im <strong>Wolfacher</strong> Schlosshof abgeholt und zu<br />
seiner Geburtstagsfeier im kurz zuvor eröffneten katholischen Gemeindehaus gefahren. Als ein Kurgast Krausbeck in die Kutsche<br />
steigen sah, fragte dieser einen neben ihm stehenden <strong>Wolfacher</strong>: „Ist das der Graf, der hier Geburtstag hat?“<br />
295<br />
Wuttke: Versuch einer Physiognomie der Gattung Fastnachtspiel, 443f.<br />
296<br />
Ein Grund für die Beliebtheit der Reihenspiele liegt wohl vor allem in der leichteren Einstudierbarkeit. Wuttke: Versuch einer<br />
Physiognomie der Gattung Fastnachtspiel, 448.<br />
297<br />
In den 1970er-Jahren wohnten bis zu 500 Portugiesen in Wolfach, die in der heimischen Industrie einen Arbeitsplatz fanden. Der Clube<br />
Português wurde 1966 von José Amado gegründet, der auch maßgeblich die <strong>Fasnet</strong>aktivitäten des Vereines voran trieb. Zu Amado und<br />
dem Clube Português siehe die Berichte im Schwabo vom 11.2.1991, 8.4.2006 und OT vom 26.6.1993.<br />
298<br />
Zur Gräfin Udilhilt vgl. Anmerkung 677.<br />
299<br />
Schrader: <strong>Die</strong> tapferen Recken.<br />
300<br />
Der Name Walter von Zollern ist eine Anspielung auf den Zollamtmann und Altwohlaufsänger Walter Schmider, der bis 1989 mit seiner<br />
großen, bunten Festspielgruppe oft als Zigeuner verkleidet am Festspiel teilnahm.<br />
301<br />
Longbeach Before ‚Vor Langenbach’.<br />
302<br />
Abbildung des Plakats in Krausbeck: Aus der Geschichte der <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> (1956), 60.<br />
303<br />
Der Name Wampum geht zurück auf die Bezeichnung Wampum ‚Mosaikarbeit der Indianer des östlichen Nordamerika aus kleinen<br />
Muschelperlen, meist in Form eines Gürtels. <strong>Die</strong> Wampum dienten als Geld, ursprünglich als Urkunde bei Verträgen mit eingestickten