08.01.2013 Aufrufe

Die Wolfacher Fasnet - Netz-Seite

Die Wolfacher Fasnet - Netz-Seite

Die Wolfacher Fasnet - Netz-Seite

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Schrader: <strong>Die</strong> <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> und ihre Gestalten <strong>Seite</strong> 96<br />

Finanzierung der <strong>Fasnet</strong>. Eine alte aus Eisen geschmiedete und noch heute verwendete Narrenkasse dürfte ursprünglich<br />

eine sogenannte Schwörbixe gewesen sein, in die früher für jedes Fluchwort gemäß der fürstenbergischen<br />

Landesordnung eine bestimmte Geldstrafe zu entrichten war 817 .<br />

Das Wort Schnurrant geht zurück auf mhd. snurrære ‚Possenreißer’, snürrinc ‚Possenreißer, Tor, Narr’ 818<br />

< ahd. snurring* ‚Gaukler, Witzbold, Tor, Narr’ < germ. *snerr- ‚schnarren?’ < idg. *sner- (1), *ner- (4)<br />

‚tönen’ 819 . Schnurre bedeutet ‚scherzhafte Erzählung, Posse, Schwank’, gebildet zu schnurren in der Bedeutung<br />

von ‚Lärmgerät, Knarre, Brummkreisel’; solche Geräte trugen besonders die umherziehenden Possenreißer mit<br />

sich, um Aufmerksamkeit zu erregen 820 .<br />

Bereits im Jahre 1600 ist in Wolfach der erste Schnurrant nachweisbar. Damals wurde Michel Knoller bestraft,<br />

weil er zur <strong>Fasnet</strong>zeit maskiert einen anderen Bürger geschmäht habe 821 . <strong>Die</strong> zahlreichen Holz- und<br />

Papierlarven aus dem 18. und 19. Jahrhundert lassen vermuten, dass damals das Schnurren unter Larven weit<br />

verbreitet war, wie es heute noch in manchen Narrenstädten wie Rottweil oder Villingen gepflegt wird. Da<strong>Die</strong><br />

Schnurranten zogen jeweils an den Sonntagen vor der <strong>Fasnet</strong> durch die Gastwirtschaften und improvisierten je<br />

nachdem, wen sie dort antrafen, ihren Geschichten. Gelegentlich besuchten sie auch Privathäuser. Mit dem Verschwinden<br />

der Hansel zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam auch diese spezielle Form des Schnurrens, die Rudolf<br />

Straub noch in seinem Aufruf zur Erneuerung der alten Hanseltradition 1926 beschrieb 822 , außer Mode. Nach<br />

und nach verlor das Schnurren seinen überwiegend improvisierenden Charakter. <strong>Die</strong> Qualität der gedichteten<br />

Schnurren nahm durch die immer gewissenhafter werdende Vorbereitung zu.<br />

Eine beliebte Form des Schnurrens war die Moritat, bei der nicht nur durch Text und Musik, sondern auch<br />

durch die gezeichneten oder gedruckten Mordtafeln das Geschehen glossiert werden konnte 823 . In einer aus den<br />

1860er-Jahren stammenden handschriftlichen Liedersammlung von Josef Anton Krausbeck findet sich vermutlich<br />

die eine oder andere Moritat, die auch an der <strong>Fasnet</strong> aufgeführt wurde, beispielsweise das auf den 20. Januar<br />

1867 datierte Lied Doctor Bismarck auf die bekannte Melodie des Doktor Eisenbart 824 .<br />

Ein um 1870 entstandener Text verulkt nach der Melodie von Bredelins Weibermühle von Tripsdrill die<br />

Preußische Gewerbeordnung von 1869; das lithographierte Textblatt wurde während des Schnurrens an die Zuschauer<br />

verteilt 825 . Eine Parodie auf eine echte Moritat mit dem Titel Kuno oder Autofahrt und Vaterfluch trug<br />

Alfred Krausbeck 1925 beim <strong>Fasnet</strong>spiel Großes Volksfest mit Vergnügungs- und Schießbuden vor; das chromolithographisch<br />

gedruckte Schild mit dem dazugehörigen Textblatt stammt aus dem in Mühlhausen (Thürigen)<br />

ansässigen Verlag Danner 826 .<br />

<strong>Die</strong> Verteilung der Schnurrgruppen auf die einzelnen Lokale organisiert jeweils der Schnurrobmann der<br />

Narrenzunft: bis 1968 war dies Erich Sandfuchs, von 1969 bis 1980 Albert Wöhrle, seit 1981 Wilfried Schuler.<br />

Früher gab es jährlich bis zu fünf Schnurrsonntage in bis zu 18 Gastwirtschaften 827 . Bis in die 1960er-Jahre<br />

hinein erfolgte die Organisation des Schnurrens teilweise recht kurzfristig, denn die Schnurrgruppen mussten<br />

erst in der Narrenversammlung am Mittwoch vor dem Schnurrsonntag ihre Teilnahme fest zusagen. Zeitweise<br />

zogen die Schnurrgruppen hintereinander als Rattenschwanz durch die Lokale, angeführt von den Ansagern in<br />

Narrenpolizeiuniform, begleitet von der Narrenkapelle und den Hanseln. In manchen Jahren legte der Schnurrobmann<br />

nur die ersten Schnurrlokale entlang der Hauptstraße fest und überließ die Fortsetzung den Schnurranten<br />

nach eigenem Verstand und Entschluss 828 . Während des Schnurrens gab es für die Teilnehmer auch ein Vesper,<br />

das ab 1957 aufgrund einer Vereinbarung des Narrenvaters mit den Wirten in einer beliebigen Wirtschaft eingenommen<br />

werden durfte 829 . <strong>Die</strong> Schnurranten erhielten dafür vom Schnurrobmann einen Gutschein; die Bezahlung<br />

erfolgte jedoch nicht durch die Narrenkasse, sondern oblag den Wirten selbst, die die Gutcheine dann<br />

am Schluss unter sich gleichmäßig verrechneten.<br />

1971 veranstaltete die Narrenzunft aus zeitbedingten Gründen erstmals nur ein Schnurren. Damit in den<br />

einzelnen Lokalen keine langen Pausen mehr entstehen, wurden diese in zwei Gruppen eingeteilt: In den einen<br />

817 Disch: Chronik Wolfach, 19. – <strong>Die</strong> originale Narrenkasse befindet sich im Museum Schloss Wolfach, Inventar-Nr. 1988/1164.<br />

818 Lexer: Mhd. Taschenwörterbuch, 202, s. v. snurrære, snürrinc; vgl. snurrikeit ‚Narrheit’. Lexer: Mhd. Taschenwörterbuch, 202, s. v.<br />

snurrikeit.<br />

819 Köbler: Ahd. Wörterbuch, s. v. snurring*. – In manchen Gegenden bedeutet Schnurrant auch ‚Bettelmusikant’, latinisierende Bildung aus<br />

schnurren ‚schnorren, betteln’. Wahrig: Deutsches Wörterbuch, 3256, s. v. Schnurrant.<br />

820 Wahrig: Deutsches Wörterbuch, 3257, s. v. Schnurre; vgl. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 1234, s. v. schnurren.<br />

821 Disch: Chronik Wolfach, 443.<br />

822 Zu Straubs Aufruf siehe Abschnitt 2.1.1 Der weiße Ur-Hansel von 1927.<br />

823 <strong>Die</strong> aus dem 19. Jahrhundert stammenden Moritatentafeln der <strong>Wolfacher</strong> Herrengartengesellschaft, die nicht direkt mit dem <strong>Fasnet</strong>brauchtum<br />

in Verbindung stehen, wurden aufgrund ihrer besonderen Bedeutung 1975 in einer Ausstellung der Stuttgarter Staatsgalerie<br />

über Moritaten und Bänkelsang gezeigt. Zur Geschichte der Moritaten siehe Eichler: Bänkelsang und Moritat; Krausbeck, J.: Moritaten<br />

in der <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong>; Krausbeck, J.: <strong>Die</strong> <strong>Wolfacher</strong> Herrengarten-Gesellschaft und ihre Moritaten.<br />

824 Krausbeck, Josef A.: Liedersammlung.<br />

825 Museum Schloss Wolfach, Inventar-Nr. 2008/319. – Vgl. hierzu Abschnitt 5.2 Bredelins „Weibermühle“.<br />

826 Museum Schloss Wolfach, Inventar-Nr. 2008/320 (Textdruck); 2008/333 (Foto der Moritatentafel). – Krausbeck, J.: Moritaten in der<br />

<strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong>, 62f.; Eichler: Bänkelsang und Moritat, 125.<br />

827 Ein vom damaligen Schnurrobmann Erich Sandfuchs entworfenen Schnurrplan für das Jahr 1956 findet sich im Anhang zu diesem Abschnitt.<br />

– In der Gastwirtschaft „Zum Salmen“ wurde zeitweise zweimal, im Saal und im Lokal, geschnurrt.<br />

828 Schnurrplan von Schnurrobmann Erich Sandfuchs für den 2. Schnurrsonntag 1958. Manuskript im <strong>Fasnet</strong>archiv Frank Schrader.<br />

829 Angaben nach dem vom Schnurrobmann Erich Sandfuchs verfassten Schnurrplan für Sonntag, 27. Jan. 1957. Manuskript im <strong>Fasnet</strong>archiv<br />

Frank Schrader.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!