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Die Wolfacher Fasnet - Netz-Seite

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Schrader: <strong>Die</strong> <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> und ihre Gestalten <strong>Seite</strong> 29<br />

Teilnehmer in einem großen, von den Larventrägern und der Narrenkapelle angeführten Festzug durch die Stadt<br />

dem Publikum vor. Bereits auf dem Festspielplakat von 1867 verkündigt die närrische Gesellschaft, dass am<br />

Narren-Möntig um 12 Uhr mittags ein großer Masken-Zug vom Narren-Garten (Herrengarten) aus durch die<br />

Stadt und Vorstadt ziehen und sodann nachmittags 2 Uhr der große Grünwinkler Jahr-Markt aufgeführt wird 244 .<br />

<strong>Die</strong> in Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert belegte Form der Fastnachtspielaufführungen von durch die<br />

Gastwirtschaften und Häuser der Stadt ziehenden Schauspielern 245 findet sich in abgewandelter Form beim<br />

<strong>Wolfacher</strong> Schnurren 246 .<br />

Bereits im 16. Jahrhundert pflegten die <strong>Wolfacher</strong> die Tradition des geistlichen Dramas 247 , das ursprünglich<br />

aus der Erweiterung der Liturgie entstand, die zu einer szenischen Darstellung des in lateinischer Sprache Gesungenen<br />

führte 248 . In der großen Stube im alten Rathaus spielten die Bürgersöhne am Ostermontag 1595 das<br />

biblische Gleichnis vom verlorenen Sohn 249 , im Jahr darauf am gleichen Termin das Spihl Holopherni 250 , wobei<br />

den beywesenden Personen, deren inn die 60 gewesen, ein Abendtrunk oder nachtimbiß uff dem Rathaus geben<br />

worden, darzue ein Vrtl. Wein kaufft, das Brodt aus der Mühlin gebachen und sonsten für essendt Speiß in allem<br />

uffgangen 10 Pfund, 18 Schilling und 5 Pfennig 251 . 1600 führte ain gemaine Burgerschaft ain Comedi 252 und<br />

Tragedi vom Undergang Sodoma und Ghomorra 253 , item vom Ritter Galmi auf. Den anwesenden 40 Personen<br />

wurden uf dem Rhathauß 4 Ohmen Weins 254 wie auch zimbliche Narung zum Abendt Trunckh geraicht zum Preis<br />

von insgesamt 8 Pfund, 9 Schilling und 1 Pfennig.<br />

<strong>Die</strong> Verfasser der Stücke sind unbekannt. Sowohl der verlorene Sohn als auch die Geschichte um Judith und<br />

Holofernes gehörten zu jenen in der Bibel dargestellten Einzelschicksalen, die im 16. Jahrhundert oft als Vorlage<br />

für Dramatisierungen dienten 255 .<br />

Der aus Colmar stammende Jörg Wickram (um 1505-1555/60) schrieb, vermutlich nach französischen Vorbildern,<br />

1539 einen Roman über die schöne vnd liebliche History vom Ritter Galmyen 256 , der noch dem alten<br />

höfischen Epos nahe steht:<br />

INhalt diser History ist / von eim edlen und theüren Ritter Galmy / uß Schottenland geboren / wie der in so<br />

einer inbrünstigen züchtigen lieb / gegen einer Hertzogin von Britania entzündt / deßhalb er von der<br />

hertzogin uß Britania verschickt / zû bewarung irs gûten leümbdens. Wie auch die Hertzogin / in abweßen irs<br />

herren des Hertzogen / seim Marschalck vertrawt und befolhen / der sye / darumb das sye im nit seins<br />

mûtwillens bewilligen wolt / durch ein erdichte falsche anklag / als ein Eebrecherin gegen dem Landtfürsten<br />

verklagt / und zûm feür verurteylet. Und wie Galmy in eins münchs gestalt / nach dem der Hertzog selbs<br />

wider vom gelobten land kummen / ein kampff mit dem verräterischen Marschalck bestûnd / der hertzogin<br />

unschuld an tag bracht / und den Marschalck ins feür / das er der falsch beklagten Hertzogin bereytet / warff<br />

und verbrant / und nach absterben des Hertzogen / sein geliebte Hertzogin zû der Ee nam / seiner keüschen<br />

waren liebe erfrewet / und ein gewaltiger Hertzog in Britanien ward. Sampt anderem anhang / seer lustig<br />

und on allen anstoß menigklich zû leßen. Mit bezierung irer figuren nach einer yegklicher handlung / so sich<br />

neben und weitleüffiger zûtragen 257 .<br />

Hans Sachs verfasste 1552 über diese Geschichte ein Schauspiel 258 . Von beiden Autoren sind auch Bearbeitungen<br />

des verlorenen Sohnes überliefert 259 . Über Judith gibt es von Sachs neben einer Comedi eine<br />

Spruchdichtung, die sich in dramatischer Form zur Aufführung bringen ließ 260 . <strong>Die</strong> Sachs’sche Spruchdichtung<br />

244 Museum Schloss Wolfach, Inventar-Nr. 1989/29.<br />

245 Wuttke: Versuch einer Physiognomie der Gattung Fastnachtspiel, 441.<br />

246 Zum Schnurren siehe Abschnitt 2.4.1 Schnurranten.<br />

247 Zur <strong>Wolfacher</strong> Theatergeschichte siehe Disch: Chronik Wolfach, 115f., 252; Schrader: Fürst beendet Festspieltradition.<br />

248 Zur Entwicklung des geistlichen Dramas in Deutschland siehe Cramer: Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter, 221-232.<br />

249 <strong>Die</strong> Bibel, Lukas 15, 11-32.<br />

250 <strong>Die</strong> Bibel, Buch Judith.<br />

251 <strong>Die</strong> Rechnung nach Pfund, Schilling und Pfennig war in Wolfach bis ins 17. Jahrhundert hinein üblich: 1 Pfund = 20 Schilling, 1 Schilling<br />

= 12 Pfennig. 1651 wurde die Stadtrechnung auf Gulden und Kreuzer umgestellt: 1 fl = 60 kr; 2 fl = 1 Pfund; 1 kr = 2 Pfennig. Disch:<br />

Chronik Wolfach, 487.<br />

252 Der Begriff Komödie bedeutete ursprünglich ‚Lustspiel’ (< lat. cōmoedia), bezeichnete jedoch im 17. und 18. Jahrhundert unter dem<br />

Einfluss des frz. comédie ‚Theater’ vielfach jedes Theaterstück sowie das Theater überhaupt. Etymologisches Wörterbuch des<br />

Deutschen, 698, s. v. Komödie.<br />

253 <strong>Die</strong> Bibel, 1. Moses 19.<br />

254 4 Ohm Wein entsprechen 183 Liter, d.h. pro Person wurden 4,6 Liter Wein ausgeschenkt. Zur Umrechnung der Maßeinheiten siehe Disch:<br />

Chronik Wolfach, 494.<br />

255 Vom verlorenen Sohn gibt es mindestens zehn, von Judith vier literarische Bearbeitungen aus dem 16. Jahrhundert. Sachs: Werke in zwei<br />

Bänden I, 406f., 409; Schneider, M.: Deutsches Titelbuch, 325 Nr. 37-41, 583 Nr. 15-24, 630 Nr. 20; Frenzel: Stoffe der Weltliteratur,<br />

371-373, s. v. Judith, 689-692, s. v. Sohn, Der verlorene. – In Esslingen / Neckar wurde 1556 die histori der Judith und Holofernis uff<br />

dem Bruckenwasen ungefährlich mit 200 gerüstet man gehalten. Dewald: <strong>Die</strong> Zahl der Narren ist unendlich, 73-76.<br />

256 Wickram: Ein schöne und liebliche History. – Vgl. Schneider, M.: Deutsches Titelbuch, 203 Nr. 51; Lorenz: Einleitung, 13. – Wickrams<br />

Roman diente 1806 dem als Erfinder des deutschen Ritterromans geltenden Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843) als Vorlage für<br />

seinen dramatischen Roman Historie vom edlen Ritter Galmy. Lorenz: Einleitung, 11-18.<br />

257 Wickram: Ein schöne und liebliche History, 2.<br />

258 Schneider, M.: Deutsches Titelbuch, 204 Nr. 1.<br />

259 Schneider, M.: Deutsches Titelbuch, 583 Nr. 19, 583 Nr. 21f.<br />

260 Schneider, M.: Deutsches Titelbuch, 325 Nr. 37, 40. – Zu den Werken von Hans Sachs vgl. Sachs: Werke. Registerband.

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