Die Wolfacher Fasnet - Netz-Seite
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Schrader: <strong>Die</strong> <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> und ihre Gestalten <strong>Seite</strong> 183<br />
dass im 19. Jahrhundert überwiegend Protestanten Chroniken und historisch fundierte Arbeiten über Biberach<br />
verfassten. So wurden beispielsweise die Geschichte der evangelischen Komödiantengesellschaft sowie Leben<br />
und Werk des evangelischen Komponisten Justin Heinrich Knecht ausführlich beschrieben und gewürdigt 1493<br />
und blieben deshalb bis heute im Bewusstsein der Biberacher Bevölkerung präsent, während Bredelin als Vertreter<br />
der katholischen Komödiantengesellschaft nahezu völlig in Vergessenheit geriet. Eine Rolle mag dabei<br />
auch gespielt haben, dass der in der deutschen Literaturgeschichte einen wichtigen Platz einnehmende<br />
evangelische Dichter Christoph Martin Wieland einen Großteil der historisch-kulturellen Aufmerksamkeit der<br />
Biberacher auf sich zog und somit keinen Raum für weniger berühmte Geistesgrößen ließ.<br />
Franz Disch schreibt in seiner Chronik der Stadt Zell / Harmersbach, dass dort Bredelins Weibermühle aufgeführt<br />
worden sei 1494 . Das ist möglicherweise ein Irrtum, da sich eine Aufführung in Zell / Harmersbach in<br />
anderen Quellen nicht nachweisen lässt 1495 . Vielleicht ergänzte Disch die Liste der Zeller <strong>Fasnet</strong>spiele um Titel,<br />
die er schon in seiner <strong>Wolfacher</strong> Chronik genannt hatte 1496 , denn es gibt viele Stellen in seiner Zeller Chronik,<br />
deren Formulierung er aus der <strong>Wolfacher</strong> Chronik übernommen hat. Allerdings ist eine Aufführung der Weibermühle<br />
in Zell nicht undenkbar, denn dort amtete Bredelins Stiefsohn Fidel Knupfer als Provisor 1497 , der das Spiel<br />
von seinem Stiefvater übernommen haben könnte.<br />
Bei einem Gottesdienst der reformierten Kirche an der Hochschule Zürich im Jahre 2007 diente Bredelins<br />
„Weibermühle“ als einleitendes Beispiel für das Thema Anders werden – der neue Mensch 1498 :<br />
Liebe Hochschulgemeinde,<br />
Kennen Sie Georg Anton Bredelin? Wohl kaum. 1787 schrieb er ein im Schwarzwald bis heute aufgeführtes Fastnachtssingspiel mit dem<br />
Titel ‹<strong>Die</strong> Weibermühle von Tripstrill›. <strong>Die</strong> Handlung dreht sich um ein technisches Wunderwerk, das den Innovationspreis der<br />
ecomomiesuisse verdient hätte:<br />
Der Müllermeister Cyprian betreibt in Tripstrill eine Wundermühle, die aus alten Frauen – Weiber werden sie damals noch genannt –<br />
junge macht. <strong>Die</strong> Männer aus dem Dorf bringen ihre alten Weiber zur Mühle und klagen dem Müller ihr Leid. Trotz Gegenwehr landen<br />
die Frauen in der Mühle. Und der Mahlvorgang tut seine erhoffte Wirkung: Wo alt und runzelig war, ist jetzt jung und straff. Eitel<br />
Freude auf allen <strong>Seite</strong>n. So weit, so gut.<br />
Doch die Freude der Männer währt nur kurz. Nach ihrer Verjüngung wollen die Frauen nichts mehr von ihren alten Männern wissen,<br />
und den aufgebrachten Männern bleibt nur der Spott des Hanswursts für ihr törichtes Handeln.<br />
Aber auch der Spott über die Dummheit der anderen ist keine Garantie dafür, dass man sich nicht selbst zum Trottel macht. Nachdem<br />
der Hanswurst gesehen hat, wohin die Verjüngung der Weiber führt, will er besonders schlau sein und bringt sein ihn ständig nervendes<br />
Weib auch zur Mühle in der Hoffnung, dass dieses ihn dann verlassen werde. Doch er hat Pech. <strong>Die</strong> Frau wird zwar jung, denkt aber<br />
gar nicht daran wegzugehen 1499 . Und so hat er nach der wundersamen Verjüngung zwar keine nervende Alte, dafür aber eine noch viel<br />
nervendere Junge an seiner <strong>Seite</strong>.<br />
Sie sehen, mit dem Jung- und Neuwerden ist es so eine Sache: Nicht immer ist das Neue so, wie man erhofft hat. Oft bleibt alles mehr<br />
oder weniger beim Alten. Und manchmal meint man, alles sei ganz neu und anders geworden. Aber niemand merkt es.<br />
5.2.5. <strong>Die</strong> Weibermühle außerhalb Wolfachs<br />
Es gibt neben Bredelins Singspiel noch einige weitere musikalische und theatralische Realisierungen des<br />
Themas. Bereits 1440 lässt sich in Thorn (heute Toruń / Polen) ein Fastnachtspiel nachweisen, in dem alte<br />
Weiber werden sollen 1500 . 1807 schrieb der österreichische Komponist Wenzel Müller (1767-1835) 1501 die Musik<br />
zu der grotesk-komischen Pantomime in einem Aufzuge <strong>Die</strong> Windmühl von Tripstrill, oder die Art, alte Weiber<br />
jung zu machen von Philipp Karl Hasenhut 1502 , die abgesehen von der Grundidee inhaltlich nichts mit Bredelins<br />
Weibermühle zu tun hat. In den Szenen 5 bis 7 des 4. Aktes der Tragödie Faustine, der weibliche Faust von<br />
Wilhelm Schäfer, die 1898 in Druck erschien, verwandelt das teuflische Genie Praktinski, ein Wissenschaftsverflüchtiger,<br />
die Titelheldin Faustine mit Hilfe des Müllers einer Altweibermühle mit der Inschrift: „Der Frühling<br />
schließt sich an den Winter an“ in eine junge Frau 1503 . Der Komponist Fritz Baselt schrieb 1906 die Musik zu<br />
dem Ballett „<strong>Die</strong> Altweibermühle“ 1504 . Der österreichische Schriftsteller Franz Theodor Csokor (1885-1969)<br />
schrieb 1932 die Komödie <strong>Die</strong> Weibermühle 1505 . 1951 entstand das Ballett <strong>Die</strong> Weibermühle des Schweizer<br />
Komponisten Paul Burkhard (1911-1977), Leiter der Musikabteilung des Zürcher Schauspielhauses, der mit dem<br />
Chanson Oh, mein Papa aus der musikalischen Komödie Das Feuerwerk weltberühmt wurde 1506 . Der ost-<br />
1493 1883 erschien beispielsweise Ofterdingers ausführliche Geschichte des Theaters in Biberach.<br />
1494 Disch: Chronik der Stadt Zell am Harmersbach, 260.<br />
1495 Telefonische Mitteilung von Bernhard Stelzer, Wolfach, vom 26.11.1994.<br />
1496 Disch: Chronik Wolfach, 443.<br />
1497 Barth, J.: Geschichte der fürstenbergischen Schulen, 831.<br />
1498 Dalferth: Anders werden – der neue Mensch.<br />
1499 Irrtum des Pfarrers: Das Hanswurstwieb wird nicht verjüngt, sondern kommt noch älter aus der Mühle. Das ändert aber nichts an der<br />
Schlussfolgerung in der Predigt.<br />
1500 Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates, 196.091f. (gedruckte Ausgabe Bd. II, 536f.)<br />
1501 Wenzel Müller machte zu Lebzeiten in Wien mit seinen mehr als 200 Zauberopern, Possen und Singspielen Furore; auch am<br />
Donaueschinger Hoftheater wurden seine Werke aufgeführt. MGG IX, 865-870, s. v. Müller, Wenzel; Seeger: Das große Lexikon der<br />
Oper, 381, s. v. Müller, Wenzel; Schuler, M.: <strong>Die</strong> Fürstenberger und die Musik, 156.<br />
1502 Müller, W. / Hasenhut: <strong>Die</strong> Windmühle von Tripstrill. – Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch XXII, 653, s. v. Tripstrill.<br />
1503 Schäfer, W.: Faustine, der weibliche Faust, 10.783-10.792.<br />
1504 MGG XV, 530, s. v. Baselt, Fritz.<br />
1505 Literaturlexikon II, 485f., s. v. Csokor, Franz Theodor.<br />
1506 MGG II, 484, s. v. Burkhard, Paul. – Zu Burkhard siehe Fath: Reclams elektronisches Opernlexikon, 2957, s. v. Burkhard, Paul.