Die Wolfacher Fasnet - Netz-Seite
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Schrader: <strong>Die</strong> <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> und ihre Gestalten <strong>Seite</strong> 30<br />
über den Undtergang Sodoma unnd Gomorrah 261 scheint die einzige literarische Auseinandersetzung mit diesem<br />
Thema zu jener Zeit gewesen zu sein 262 . <strong>Die</strong>s könnte ein Indiz dafür sein, dass auch die anderen drei in Wolfach<br />
aufgeführten Stücke von Sachs stammen, der allerdings ein Anhänger der Reformation war.<br />
Ab 1683 ließ Pfarrer Dominic Staub, der von 1673 bis 1695 in Wolfach wirkte 263 , alljährlich am Karfreitag<br />
die Passion in etwas agieren und durch underschiedliche Personen spielen. Der Ehrsame Rat der Stadt stellte die<br />
Dillen und Schrägen 264 zur Verfügung und beauftragte die Zimmerleute, das Theater herzustellen. In den Jahren<br />
nach 1751 gab es jeweils eine theatralische Procession, bei der die gesamte Leidensgeschichte dargestellt<br />
wurde. <strong>Die</strong> Spieler zogen u.a. einen Palmesel auf einem Wägelchen mit. Den Schluss bildete die Kreuzigung bei<br />
der St.-Jakobs-Kapelle. Bei der Aufführung 1770 zog sich der Jesus-Darsteller, der 26-jährige Roman Armbruster,<br />
der das Kreuz auf seinen Schultern nach St. Jakob getragen hatte, eine Erkältung zu, die wenig später zu<br />
seinem Tod führte. Da es bei diesen Tragedien nicht immer mit dem nötigen Ernst zuging, wurde das Gesuch der<br />
Stadt um Abhaltung einer theatralischen Procession über die Leiden Jesu-Christi 1780 vom gn. Herrn, dem<br />
Fürsten Joseph Wenzel von Fürstenberg (1728-1783), ein für alle mal abgewiesen.<br />
1788 führte eine Commedianten-Compagnie, die womöglich von dem von 1784 bis 1797 in Hausach tätigen<br />
Lehrer Georg Anton Bredelin (1752-1814) gegründet wurde 265 , im Rathaus eine Fuxen-Commedie auf 266 , die<br />
vielleicht von Bredelin basierend auf dem bekannten Versepos Reinecke Fuchs in der Prosabearbeitung Johann<br />
Christoph Gottscheds von 1752 geschrieben wurde 267 . Zu jener Zeit dürfte auch Bredelins musikalisches Nachspiel<br />
<strong>Die</strong> Weibermühle von Tripstrill entstanden sein, das mit seiner Typisierung der Personengestaltung und<br />
dem Auftreten des Hanswursts ganz in der Tradition des Fastnachtspiels steht 268 und wahrscheinlich das einzige<br />
Spiel seiner Art aus dem 18. Jahrhundert ist, das heute noch regelmäßig zur <strong>Fasnet</strong>zeit aufgeführt wird, ein<br />
letztes Relikt des mit der Säkularisation der Klöster zu Beginn des 19. Jahrhunderts schlagartig untergegangenen<br />
klösterlichen Musiklebens 269 ; von den Zwischen- und Nachspielen der Schuldramen wurde meist nur der Inhalt<br />
in den Textheften abgedruckt 270 , weshalb sich diese nur sehr selten erhalten haben.<br />
Es ist anzunehmen, dass aus der Commedianten-Compagnie um 1800 die Freie Narrenzunft Wolfach hervorging,<br />
die deren Spieltradition übernahm. <strong>Die</strong> Aufführung von Bredelins Weibermühle 1803 ist das erste schriftlich<br />
nachweisbare Festspiel. Auch in den Jahren 1836, 1858, 1892 und 1973 stand die Weibermühle auf dem<br />
närrischen Spielplan; seit 1977 wird sie regelmäßig alle fünf Jahre wiederholt 271 .<br />
1844 kam es zu einer närrischen Darbietung von Friedrich Schillers Jungfrau von Orléans, die Hauptrolle<br />
spielte dabei die Herrengartenwirtin Afra Fuchsschwanz 272 . Schillers Wallenstein-Trilogie diente 1897 als Vorlage<br />
für ein Festspiel 273 ; das Lager Wallensteins befand sich auf dem Marktplatz, während die Mansfelder vor<br />
dem Schlosstor und die Schweden im Hof der Gastwirtschaft „Zum Engel“ kampierten. Bei der großen Schlacht<br />
führte eine Feindverfolgung durch das eiskalte Kinzigwasser. Zum Abschluss gab es Chinesische Tänze, dargeboten<br />
von den Mitgliedern des Haslacher Gesang- und Musikvereins Harmonie, wobei Gastwirt Rudolf Aiple<br />
als besonders echt aussehender Chinese auftrat und deshalb dessen Gastwirtschaft bis heute noch den Spitznamen<br />
„Zum Liung Tschang“ trägt 274 . (Im 19. Jahrhundert war es nicht ungewöhnlich, dass ein klassisches<br />
Drama als Vorlage für ein <strong>Fasnet</strong>spiel diente. So kam beispielsweise Wallensteins Lager 1840 auch in Stockach<br />
zur Aufführung 275 . Gottfried Keller (1819-1890) gibt in seinem autobiographischen Roman Der grüne Heinrich<br />
261<br />
Sachs: Werke. Registerband, 181.<br />
262<br />
Kein Eintrag über Sodom und Ghomorra findet sich in Schneider, M.: Deutsches Titelbuch. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass<br />
diese Städte als Symbol für unmoralisches Verhalten gelten, seit der römische Kaiser Justinian (527-565) aus politischen Gründen<br />
Gesetze gegen die Unzucht erließ und dies mit dem Geschehen in Sodom und Ghomorra begründete, obwohl in der Bibel nur von einer<br />
Verletzung des Gastrechtes die Rede ist. Bleibtreu-Ehrenberg: Antihomosexuelle Strafgesetze, 72-75. – In Wolfach wurde am 17.<br />
August 1639 Lorentz Baumer, der gewesene Roßhürth und Sodomith, mit dem Schwerdt gericht und der Körper samt den Rossen zu<br />
Aschen verbrannt (Disch: Chronik Wolfach, 375). Hier scheint es sich um einen Fall von Zoophilie ‚Geschlechtsverkehr mit Tieren’ gehandelt<br />
zu haben. Das Wort Sodomie, das heute im deutschen Sprachgebrauch nur noch in diesem Sinne benutzt wird, diente bis ins 19.<br />
Jahrhundert hinein allgemein als Bezeichnung für alle sexuellen Praktiken, die nicht direkt der Fortpflanzung dienen, insbesondere jene<br />
zwischen zwei Männern. Zur Rechts- und Sprachgeschichte der Sodomiterey siehe Derks: <strong>Die</strong> Schande der heiligen Päderastie, 21-26,<br />
86-106, 140-173.<br />
263<br />
Disch: Chronik Wolfach, 300.<br />
264<br />
Mhd. dille ‚Brett, Bretterwand’; mhd. schräge ‚Schrage, schräge oder kreuzweise eingefügte Pfähl, besonders kreuzweise stehende Holzfüße<br />
als Untergestell eines Tisches und dergleichen’. Lexer: Mhd. Taschenwörterbuch, 31, s. v. dil, dille; 186, s. v. schrage.<br />
265<br />
Zu Bredelin siehe Abschnitt 5 „<strong>Die</strong> Weibermühle von Tripstrill“ von Georg Anton Bredelin (1752-1814).<br />
266<br />
Disch: Chronik Wolfach, 116.<br />
267<br />
Zu Geschichte und Inhalt der ursprünglich niederdeutschen Fabel Reynke de Vos siehe Cramer: Geschichte der deutschen Literatur im<br />
späten Mittelalter, 118-121. – <strong>Die</strong> bekannte Nachdichtung des Epos von Johann Wolfgang Goethe entstand erst 1793/94. Literaturlexikon<br />
IV, 239.<br />
268<br />
Wuttke: Versuch einer Physiognomie der Gattung Fastnachtspiel, 446.<br />
269<br />
In Oberschwaben, der Heimat Bredelins, lassen sich 1422 Schuldramen nachweisen, von denen sich nur 35 mit Text und Musik erhalten<br />
haben, die jedoch heutzutage nicht mehr aufgeführt werden. Büchele: Herzrührende Schaubühne, 199, 199f. Anmerkung 4.<br />
270<br />
Oberst: Alles zur größeren Ehre Gottes, 207.<br />
271<br />
Zur Geschichte der <strong>Fasnet</strong>spiele siehe: <strong>Wolfacher</strong> Fastnachtsspiele einst und heute; Krausbeck: Aus der Geschichte der <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong><br />
(1956); Krausbeck: Masken unserer Stadt. Wolfach, 37-41.<br />
272<br />
<strong>Wolfacher</strong> Fastnachtsspiele einst und heute.<br />
273<br />
Abbildung in Schrempp, O.: Eine Reise in die närrische Vergangenheit, 30.<br />
274<br />
Hildenbrand / Krafczyk: Fasnachtsbrauchtum in Haslach im Kinzigtal, 10.<br />
275 Bettinger: <strong>Die</strong> Stockacher Fastnacht, 41.