Die Wolfacher Fasnet - Netz-Seite
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Schrader: <strong>Die</strong> <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> und ihre Gestalten <strong>Seite</strong> 57<br />
Gelegentlich greifen die Rungunkeln bereits vor der <strong>Fasnet</strong> bei den Narrenversammlungen ins närrische Geschehen<br />
ein und bringen unter den Klängen der Weibermühlenmelodie bei den Besuchern das Narrenblut in<br />
Wallung. Ein beliebter Programmpunkt zu Beginn der Pause des Zunftabends in der Woche vor der <strong>Fasnet</strong> war<br />
lange Zeit der Einfall der Rungunkeln in die Festhalle, wobei sie auf der Bühne ausgewählten Persönlichkeiten<br />
den Rungunkelfraß, einen scharf gewürzten Wurstsalat, verabreichten. Zu ihrem Jubiläum 1984 studierten sie<br />
einen Rungunkeltanz ein, den sie in späteren Jahren gelegentlich wiederholten.<br />
Eine Spezialität der turnerisch meist sehr begabten Rungunkeln ist es, an den Häuserfassaden hochzuklettern<br />
und durch die Fenster in die Wohnungen der Zuschauer einzusteigen; um sich die Kletterei zu erleichtern,<br />
konstruierten sie einen riesigen hölzernen Kochlöffel mit Leitersprossen, der insbesondere bei Narrentreffen<br />
eingesetzt wird. Eine besondere Attraktion bei den Umzügen bietet Manfred Schäfer als Hochrad fahrende<br />
Rungunkel. Eine wichtige Aufgabe dieser Häsgruppe, in die nur Männer aufgenommen werden, ist die Gestaltung<br />
der Elfemessen, bei denen sie während des Umzugs die besten Schnurrthemen 492 szenisch darbieten und<br />
sich dabei (ohne Larve und Häs) entsprechend verkleiden, um den dargestellten Persönlichkeiten möglichst ähnlich<br />
zu sehen.<br />
<strong>Die</strong> Rungunkeln sind innerhalb der Narrenzunft eine relativ eigenständige Gruppe, die sich gelegentlich auch<br />
alleine ohne die übrige Zunft zu einem Ausritt aufmacht, um an Umzügen in der Nachbarschaft teilzunehmen.<br />
Engen Kontakt pflegen sie zur Karnevalsgesellschaft Rheinfreunde in Koblenz-Neuendorf, die sie gelegentlich<br />
auch in voller Montur besuchen 493 .<br />
Exkurs: Hexengestalten in der schwäbisch-alemannischen <strong>Fasnet</strong><br />
<strong>Die</strong> in der volkskundlichen Forschung heutzutage als widerlegt geltende Interpretation der <strong>Fasnet</strong> als<br />
germanischer Stammesbrauch, der dem Winteraustreiben diente, fand bis in die jüngste Zeit hinein im lokalhistorischen<br />
<strong>Fasnet</strong>schrifttum eine weite Verbreitung. Eine wesentliche Rolle spielte dabei Hermann Eris Busse<br />
mit seinen im 3. Reich erschienenen, der Nazi-Ideologie nahe stehenden und später oft zitierten Schriften über<br />
die <strong>Fasnet</strong>. <strong>Die</strong> Nazis verstanden es geschickt, das närrische Brauchtum und ihre Akteure als Propagandamittel<br />
für ihre Zwecke zu nutzen 494 . <strong>Die</strong>s wirft die Frage auf, ob die Hexengestalten womöglich ihre starke Verbreitung<br />
in der schwäbisch-alemannischen <strong>Fasnet</strong> ab Mitte der 1930er-Jahre dem besonderen Interesse der Nazis an der<br />
Hexenverfolgung des Mittelalters und der frühen Neuzeit zu verdanken haben 495 . Speziell der Reichsführer SS<br />
Heinrich Himmler (1900-1945) betrachtete die Hexenverfolgung als einen Versuch der katholischen Kirche,<br />
altgermanisches Erbe zu vernichten. Auf seinen Befehl hin entstand eine umfangreiche »Hexenkartothek«, in der<br />
SS-Forscher zwischen 1935 und 1944 auf 33 846 Karteikarten Opfer der Hexenverfolgung im Deutschland des<br />
16. und 17. Jahrhunderts verzeichneten 496 . Allerdings kam es kriegsbedingt nicht mehr zu einer Auswertung und<br />
der von Himmler sorgsam geplanten propagandistischen Nutzung dieser umfangreichen Materialsammlung.<br />
<strong>Die</strong> von Prof. Werner Mezger in seinen Fernsehkommentaren zu den Narrentreffen regelmäßig im SWR geäußerte<br />
Auffassung, die <strong>Fasnet</strong>hexen würden der Märchenwelt entstammen und hätten nichts mit der Hexenverfolgung<br />
zu tun, scheint zumindest nicht die von diesen Hexen oftmals dargestellten Bräuche erklären zu können,<br />
die sich zumeist auf bis heute im Bewusstsein der Menschen präsent gebliebene Elemente der Hexenverfolgung<br />
beziehen. Erinnert sei hier an die Hexenverbrennung in Offenburg, die in dieser Form in keinem Märchen zu<br />
finden ist, zumal dort ein Teufel als Hexenmeister auftritt. Auch die von den Löffinger Hexen seit 1934 am Fastnachtmontag<br />
zelebrierte Walpurgisnacht 497 passt nicht in das von Mezger vertretene Erklärungsmodell. <strong>Die</strong> 2007<br />
neu gegründeten Senwig-Hexen in Hausach beziehen sich mit ihrem Namen explizit auf die in der Hausacher<br />
Stadtchronik erwähnte Hauserbacherin Gertrug Senwig, die um 1561 als Hexe ihr Unwesen getrieben haben<br />
soll 498 .<br />
<strong>Die</strong> Gestaltung der Hexenhäser könnte allerdings von Hexenillustrationen in Märchenbüchern beeinflusst<br />
worden sein.<br />
492<br />
Zum Schnurren siehe Abschnitt 2.4.1 Schnurranten.<br />
493<br />
Beispielsweise besuchten die Rungunkeln den närrischen Abend zum 155-jährigen Bestehen der Gesellschaft im Februar 2000. Bericht im<br />
Schwabo vom 9.2.2000.<br />
494<br />
Jeggle: Fasnacht im Dritten Reich. – <strong>Die</strong> mitunter engen personellen Verbindungen zwischen politischer und fasnetlicher Ebene im 3.<br />
Reich zeigt sich auch in Wolfach, wo der langjährige Narrenvater Erwin Haas zugleich SS-Sturmführer war, siehe Anmerkungen 42 und<br />
43. Es gab aber auch Narren, die dem 3. Reich sehr kritisch gegenüberstanden, beispielsweise Josef Krausbeck und Georg Straub, und<br />
die den Einfluss der NSDAP und ihrer Organisationen auf das <strong>Fasnet</strong>brauchtum einzuschränken versuchten. Ähnlich war es beispielsweise<br />
auch in Gengenbach. Liewald: Geschichte der Gengenbacher Narretei, 38.<br />
495<br />
Bereits im 19. Jahrhundert lassen sich jedoch <strong>Fasnet</strong>hexen nachweisen. Der Furtwanger Pfarrverweser Dilger berichtete 1880 in einem<br />
Jahresrückblick: Eine andere für Furtwangen charakteristische Maske sind die Hexen; Kinder kleiden sich so hässlich, als möglich in<br />
Weiberkleider und haben einen Besen, mit welchem sie vor den Leuten her die Straße kehren; das sind die Hexen. Dilger, N. N.: [Jahresrückblick<br />
1880]. – <strong>Die</strong> ersten Hexenfiguren mit Holzlarven entstanden in Offenburg (erster Entwurf 1933, offizielle Gründung 1936),<br />
Gengenbach (1933, seit 1938 mit Holzlarven) und Löffingen (Walpurgisnacht erstmals 1928 oder 29 gefeiert, seit 1934 im jährlichen<br />
Rhythmus). Vgl. hierzu: Offenburger Hexenzunft e.V.; Liewald: Geschichte der Gengenbacher Narretei, 37f.; Gwinner: Walpurgisnacht<br />
der Löffinger Hexengruppe.<br />
496<br />
Ausführlich dargestellt ist das Projekt in: Himmlers Hexenkartothek. – Zur Geschichte der Hexenverfolgung siehe: Hexen. Analysen,<br />
Quellen, Dokumente; Disch: Chronik Wolfach, 377-388; Pfefferle: Der Hexenwahn und seine Folgen.<br />
497<br />
Gwinner: Walpurgisnacht der Löffinger Hexengruppe.<br />
498 Bericht im Schwabo vom 9.2.2007.