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Die Wolfacher Fasnet - Netz-Seite

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Schrader: <strong>Die</strong> <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> und ihre Gestalten <strong>Seite</strong> 26<br />

geben, aufgehoben sei. <strong>Die</strong>ser Brauch der kostenlosen Bewirtung dürfte auf die als Schauertag bezeichnete und<br />

ursprünglich von der Stadt seinen Bürgern bezahlte Ratszehrung am Aschermittwoch zurückgehen 209 .<br />

Im Anschluss an die Elfemessen werden seit jeher kostenlos Brezeln an die Kinder verteilt. Eine erste ausführliche<br />

Schilderung dieses Brauches aus dem Jahre 1895 findet sich in der handschriftlichen Chronik der Stadt<br />

Wolfach von August Armbruster (1860-1933) 210 :<br />

Wem gellen sie nicht noch tagelang nach Faßnacht in den Ohren, die schönen, schon uralten<br />

Fasßnachtsreime, welche die hiesige Schuljugend hungrig wie die Kirchenmäuse und beutegierig wie die<br />

Wölfe vor den Elfemeßwirtschaften herunterjohlen und herunterleiern? Und wenn sich dann einer der<br />

Elfimeßler der ausgehungerten Schreier erbarmt und eine Partie Bretschle hinauswirft, wie fallen sie dann<br />

übereinander her, raufen und balgen sich darum, wie wenn man Hühnern Futter vorwirft. Doch wenn sich<br />

keiner der Schreier erbarmen will, dann setzen sie einem der bekannten [Männer] im Lokal das Messer an<br />

den Hals, indem sie herausjohlen ‚Der Wilhelm soll rusgucke!’ Sind die abfallenden Bretscheln etwas dünn<br />

gesät, so wird derselbe mit dem Ruf ‚Hennefuater’ abgedankt. Kommt aber gar nichts für die Schreihälse<br />

heraus, so wird mit dem Zornrufe ‚Hungerliider’ 211 den kneipenden 212 Elfimeßlern die Entrüstung von<br />

Jungwolfach Ausdruck gegeben.<br />

Ergänzend dazu schreibt 1920 Franz Disch (1870-1948) in seiner Stadtchronik 213 , wie sich die junge Schar gierig<br />

auf die Beute wirft und darum balgt und rauft: Während der eine triumphierend eine halbe oder gar ganze<br />

Bretzel erobert, muß der andere froh sein, sich mit ziemlich heilen Händen aus dem Menschenknäuel herauslösen<br />

zu können. Wirft der ‚Karle’ oder wie der Betreffende gerade heißt, viele Brezeln aus, dann schreit alles:<br />

Der Karle soll lebe. <strong>Die</strong> ursprüngliche Spontaneität des Brezelauswerfens ging mit der Zeit verloren. Heutzutage<br />

steht am Eingang zur Elfemesswirtschaft jeweils ein Narrenpolizist, der die Kinder zum Rufen der <strong>Fasnet</strong>sprüche<br />

animiert.<br />

<strong>Die</strong> Brezel galt ursprünglich als eine typische von Mönchen kreierte Fastenspeise am Aschermittwoch, deren<br />

Form zum Beten verschränkte Arme symbolisieren soll, worauf schon ihr Name hindeutet, der auf das lat.<br />

brachitum ‚Gebäck in Gestalt verschlungener Arme’ bzw. mlat. bracellus ‚eine Art Kuchen, Malzkuchen’, abgeleitet<br />

von lat. bracchium ‚Arm’, zurückgeht 214 . Durch eine Anordnung aus dem Jahre 1667 waren die Bäcker<br />

in Wolfach unter Strafandrohung dazu verpflichtet, zuer Zeit der Fasten neubachen Bretzen [zu] haben und daß<br />

bei Straf des Pfunds 215 . 1771 wollen die Becken wegen Teure der Früchten keine Pretschgen auf den Aschermittwoch<br />

und in den Fasten backen 216 . Kriegsbedingt werden 1795 die Beckhen enthoben, Prezeln über die<br />

Fastenzeit zu backen 217 . Im Lauf des 19. Jahrhunderts verschob sich dann der Brauch des Brezelessens von<br />

Aschermittwoch auf die <strong>Fasnet</strong>zeit. Womöglich geht dies auf den von 1856 bis 1860 in Wolfach tätigen Pfarrverweser<br />

Ernst Ginshofer zurück, auf dessen Betreiben hin bereits das Schauertagsessen von Aschermittwoch<br />

auf den <strong>Fasnet</strong>zieschtigabend verlegt wurde und der damit tatkräftig die katholische Kirche in ihrem damaligen<br />

Bestreben unterstützte, den Aschermittwoch als ersten Fastentag von außerkirchlichen Bräuchen frei zu halten 218 .<br />

Als bei der Martinisitzung 2001 der Narrenrat Christian Keller als Festabzeichen eine Miniaturbrezel vorschlug,<br />

entgegnete Narrenvater Heiner Oberle, dass die <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong> weniger was mit Brezeln zu tun<br />

habe 219 . Als Reaktion auf diese Diskussion verteilte Oberle, als Obdiger-Meister Keller verkleidet, bei der<br />

Elfemess am <strong>Fasnet</strong>zieschtig Miniaturbrezeln an die Zuschauer. Im <strong>Wolfacher</strong> Narrenblättle 32 (2002) erschien<br />

dazu ein verulkender Beitrag. Beim Helferfest der Narrenzunft im Juni 2002 verhandelte ein Narrengericht den<br />

Fall und degradierte dabei Oberle wegen Missachtung des historischen Brauchtums zum Däfelebue 220 .<br />

Bei der Elfemess am Schmutzige Dunnschtig beteiligen sich seit den 1990er-Jahren in großer Zahl die zuvor<br />

von der Narrenzunft befreiten Schüler, die sich meist klassenweise zu einem bestimmten Thema fantasievoll<br />

kostümieren. Bereits bei den Jungnarrenversammlungen, die in den Wochen vor der <strong>Fasnet</strong> stattfinden, lässt der<br />

närrische Nachwuchs seiner Kreativität in der Gestaltung von Verkleidungen freien Lauf, auch wenn er sich<br />

dabei oft im Rahmen klassischer Standardtypen wie Cowboy, Clown, Hexe oder Gespenst bewegt oder sich an<br />

den von Fernsehen und Medien vorgegebenen Gestalten, beispielsweise Batman oder Harry Potter, orientiert.<br />

209<br />

Zur Geschichte des Schauertags siehe Abschnitt 1.4.6 Der Schauertag.<br />

210<br />

Armbruster: Das alte <strong>Wolfacher</strong> Rath- und Schulhaus. Zitiert nach Schrempp, O.: Eine Reise in die närrische Vergangenheit, 48. - Zu<br />

Armbruster siehe Abschnitt 1.9 Mediengeschichte der <strong>Wolfacher</strong> <strong>Fasnet</strong>.<br />

211<br />

Hungerliider ‚Hungerleider’.<br />

212<br />

kneipen ‚zechen’. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 679, s. v. Kneipe.<br />

213<br />

Disch: Chronik Wolfach, 442. – Studienrat Franz Disch leitete von 1909 bis 1929 als Vorstand die Bürgerschule und wurde 1929 wegen<br />

seiner heimatgeschichtlichen Forschungen zum ersten Ehrenbürger der Stadt Wolfach ernannt.<br />

214<br />

Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 170, s. v. Brezel.<br />

215<br />

Disch: Chronik Wolfach, 65.<br />

216<br />

Disch: Chronik Wolfach, 65.<br />

217<br />

Disch: Chronik Wolfach, 568.<br />

218<br />

Schrader: Aschermittwochsbrauchtum, 630. – <strong>Die</strong> Brezel war in Südwestdeutschland auch am Karfreitag eine allgemein beliebte Fastenspeise.<br />

Nüchtern gegessen sollte sie vor Fieber schützen. Meier: Deutsche Sagen, 387 Nr. 40, 388 Nr. 48.<br />

219<br />

Bericht im Schwabo vom 14.11.2001.<br />

220 Bericht im Schwabo vom 18.6.2002.

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