Katalog/Catalogue - deutsch/englisch
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sich grundlegenden Fragen der Wahrnehmung, brachte bis in die<br />
1970er Jahre nie da gewesene radikale Ausdrucksmittel und Bildbearbeitungstechniken<br />
hervor und spielte eine bedeutende Rolle für die<br />
Neuorientierung der japanischen Fotografie.<br />
Nachdem Nakahira sich in den Jahren der extremen politischen und<br />
gesellschaftlichen Unruhen auf radikale Weise mit der Wahrnehmung<br />
selbst auseinander gesetzt hatte, besuchte er 1973 zum ersten Mal<br />
Okinawa. Hier betrat er einen Ort, der von der eigentümlichen Hektik<br />
der japanischen Hochkonjunktur vollkommen unberührt geblieben<br />
war. Wie Nakahira selbst eingestand, erschütterte diese Erfahrung<br />
„die Grundfesten meiner eigenen Existenz.“ Was ihm dort begegnete,<br />
lässt sich nur als eine unsichtbare, spirituelle Präsenz bezeichnen.<br />
Er erfuhr einen Ort, der – wie Taro Okamoto es ausdrückte – angefüllt<br />
war mit unsichtbaren Wesen, die sich über den leeren Raum<br />
heranbahnen. Nakahira stellte sich dieser unsichtbaren Realität,<br />
obwohl auf seinen Fotos zu seinem Ärger nichts zu sehen war, ob er<br />
sie nun unscharf oder verwackelt ablichtete. Er war sich sicher, dass<br />
das Unsichtbare existierte, er fühlte es selbst ganz deutlich. In der<br />
Folge verwarf er sein bisheriges fotografisches Werk und begann mit<br />
Amami, Nami to Haka to Hana, soshite Taiyo (Amami: Wellen, Gräber<br />
und Blumen – und die Sonne, 1975) oder Kokkyo, Tokara Retto,<br />
Mujinka suru Shimajima (Die Grenzregion der Tokara-Inseln – entvölkerte<br />
Inseln, 1976) Fotografien der südlichsten Inseln des japanischen<br />
Archipels zu veröffentlichen.<br />
„Ich sah dort Wellen und Blumen und die Sonne. Und die Gräber<br />
der Inselbewohner, viele Gräber aus verschiedenen Zeiten und Stilen:<br />
Luftbestattung, Erdbestattung und in allerjüngster Zeit Feuerbestattung<br />
– es gab in der Tat viele Einflüsse, die zum Teil aus der Ryukyu-<br />
Kultur, zum Teil aus der Kultur des japanischen „Mutterlandes“<br />
entstanden sind. Aber sie alle sind mit der Natur verschmolzen. Von<br />
schönen Blumen überwachsene Gräber, Grabhügel im gleißenden<br />
Sonnenlicht, keine Spur vom Tod, der in der Finsternis lauert. Vielleicht<br />
bedeutet der Tod für die Leute hier bloß die Rückkehr zur Natur.“<br />
Bald nachdem er sich wie Okamoto den unsichtbaren Schichten des<br />
japanischen Gedächtnisses zugewandt hatte und nach einer neuen,<br />
direkten Sicht auf das Land und die Zeit zu suchen begann, zog sich<br />
Nakahira im Jahr 1977 eine so schwere Alkoholvergiftung zu, dass<br />
er dem Tod nur mit knapper Not entkam. Obwohl er sich körperlich<br />
erholte, litt er unter fortschreitendem Gedächtnisschwund und Sprachverlust.<br />
Der Sprache beraubt, unfähig sich mit anderen Menschen<br />
zu unterhalten, begab sich Nakahira kurz nach seiner Entlassung<br />
aus dem Krankenhaus wieder nach Okinawa, um Fotos zu machen,<br />
und veröffentlichte 1978 den Band Okinawa: Shashin Genten 1<br />
(Okinawa, der Ausgangspunkt der Fotografie 1). Nakahira begründete<br />
diese Eile folgendermaßen: „Mein einzig verlässlicher Ausgangspunkt<br />
Toshiharu Ito 22 23<br />
word; memories are bigger, go deeper than that.<br />
Or rather, they’re not something from the past,<br />
I think they’re very much present.” (Daido<br />
Moriyama: Memories of a Dog [Inu no Kioku], 1982)<br />
Former magazine editor Takuma Nakahira also<br />
knew Shomei Tomatsu from having edited his<br />
gravure pages before eventually taking up a camera<br />
himself. While continuing to critique photography<br />
and cinema as he had since the mid-1960s, writing<br />
gave direction and measure to his own photographic<br />
production. For Nakahira, words and images were<br />
inextricably connected.<br />
In 1968, together with Moriyama and others, he<br />
launched the avant-garde photographic magazine<br />
Provoke, a journal of “inflammatory material for<br />
thought” aimed at raising fundamental issues about<br />
vision, which then went on into the 1970s to champion<br />
unprecedented radical means of expression<br />
and image manipulation, forging a major turning<br />
point in Japanese photography.<br />
After relentlessly attacking the norms of seeing<br />
throughout these years of extreme political and<br />
social upheaval, Nakahira went for the first time<br />
to Okinawa in 1973. There he set foot in a place<br />
wholly untouched by the hyper-speed histrionics of<br />
Japan’s era of rapid economic growth. As Nakahira<br />
himself confesses, “It shook my existential foundations<br />
by their very roots.” In Okinawa, Nakahira<br />
encountered some invisible ethereal presence,<br />
a keen physical sense of place crowded in on all<br />
sides by transparent emptiness very much as Taro<br />
Okamoto had experienced. Yet shake or blur the<br />
camera image as he might, nothing showed. Faced<br />
with unseen entities, he felt utterly frustrated: there<br />
existed things that could not be seen; he could<br />
feel them, he knew they were there, though unphotographable.<br />
Thereafter, Nakahira rejected all his<br />
previous work, and began to photograph the<br />
southernmost islands of the Japanese archipelago,<br />
publishing such books as Amami: Nami to Haka<br />
to Hana, soshite Taiyo (Amami: Waves and Graves<br />
and Flowers – and the Sun, 1975) and Kokyo, Tokara<br />
Retto, Mujinka suru Shimajima (The Tokaras, Border<br />
Islands Soon to Be Deserted, 1976).<br />
“There I saw waves and flowers and sun, as well