Yoko Tawada Mit den Wörtern knipsen Snapshots with Words
Kurz anhalten und ohne sich viel Gedanken zu machen einfach knipsen: Für die Bilder, die durch diese unkomplizierte Art der Fotografie entstehen, gibt es das Wort „Schnappschuss“. Man schnappt spontan, gierig, dennoch beiläufig. Die Organe, die ein Lebewesen zum Schnappen verwendet, sind der Mund, das Maul oder der Schnabel, je nachdem, was es hat. Das sind die Körperteile, die auch Töne produzieren können. Man kann nicht gleichzeitig schnappen und reden. Das Knipsen bringt mich zum Schweigen. Schnappt man das Objekt oder schießt man darauf? Schießen ist eine weniger harmlose Tätigkeit. Wenn man schießt, muss man damit rechnen, dass das Objekt verletzt wird. Das Wort „Klick-Klack-Fotos“ ist auch nicht schlecht. Mich erinnert es an die Oper Hoffmanns Erzählungen. Im Japanischen benutzt man den onomatopoetischen Ausdruck „pachipachi“, wenn jemand schnell hintereinander mehrere Fotos macht. („Shashin wo pachipachi toru.“) Derselbe Ausdruck wird auch für das Blinzeln benutzt. („Me wo pachipachi saseru.“) In einem Kinderbuch las ich, dass die Kängurus schnell hintereinander blinzeln, wenn sie etwas Gefährliches – zum Beispiel Jäger – sehen. Im schnellen Blinzeln hoffen sie, dass das gefährliche Objekt aus der Sicht gelöscht und dadurch zur Nichtexistenz erklärt wird. Blinzeln als Knipsen ohne Aufnahme. Der Jäger dagegen hat eine ganz andere Absicht. Sein Schuss würde das Tier in ein Stück Fleisch verwandeln. Ich stand auf dem Flughafen JFK in New York. „Schauen Sie in die Kamera!“, sagte mir der Passkontrolleur. Wenn ich vorher nicht gelesen hätte, dass man bei der Einreise fotografiert wird, hätte ich die Kugel nicht als Kamera erkannt. Am liebsten hätte ich gegen das kugelförmige Gerät, das den Einreisenden ihre Gesichter raubt, meine eigene Kamera als Schutzschild gehalten. Ein Schnappschuss gegen den bösen Blick. Aber ein Schild machte mich darauf aufmerksam, dass man im Zollgebiet keine Fotos machen darf. Diesen Spruch hatten die Amerikaner aus der Sowjetunion importiert. Der Kontrolleur vergleicht mein Gesicht mit dem Foto in meinem Pass, den ich vor ihn hingelegt hatte. Es ist in manchen Fällen unwahrscheinlich, dass der Passkontrolleur eine Ähnlichkeit zwischen der einreisenden Person und ihrem Passfoto feststellen kann. Ich war oft überrascht, wie unähnlich das Passfoto dem Passbesitzer ist, besonders, wenn ich den abgebildeten Menschen gut kannte. Mit ängstlich starrenden Augen, herausragenden Yoko Tawada 88 89 You stop for a moment and simply take a photo without much thought. The word to describe the pictures you get from this uncomplicated type of photography is “snapshot”. You snap away spontaneously, greedily but nonetheless casually. The organs that living creatures use to snap in the physical sense are mouths, muzzles or beaks, depending on which they have. Those are the parts of the body that can also produce sounds. You can’t snap and talk at the same time. Taking snapshots shuts me up. Do you snap at the object, or shoot at it? Shooting is not such a harmless activity. If one shoots, it is likely that the object will be injured. The phrase “click-clack photos” is also not bad. It reminds me of the opera Tales of Hoffmann. In Japanese there’s an onomatopoeic expression “pachipachi” to describe someone taking several photos one after another. (“Shashin wo pachipachi toru.”) The same expression can also mean “blink”. (“Me wo pachipachi saseru.”) I read in a children’s book that kangaroos blink quickly several times in succession when they see something dangerous, e.g. a hunter. By blinking, they apparently hope to banish the dangerous object from sight, abolishing its existence, as it were. Blinking is snapping at the truth, hoping it will go away. The hunter’s intentions are quite different – his gun would turn the animal into a piece of meat. I was once at JFK airport in New York. “Look at the camera!” said the passport official. If I hadn’t previously read that people are photographed on arrival, I wouldn’t have recognised the spherical object as a camera. I would much have preferred to wield my own camera as a protective shield against something that robs arriving passengers of their faces. A snapshot against the evil eye. But there was a sign saying no photography permitted in the customs hall. That was something the Americans imported from the Soviets. The official compares my face with the photo in my passport, which I’d put down in front of him. In many cases, it is quite unlikely that the official is able to establish a similarity between the incoming person and his/her passport photo. I’ve often been surprised how unlike the
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