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Katalog/Catalogue - deutsch/englisch

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Fig. 1 Taro Okamoto,<br />

Jomon-Keramik (Detail),<br />

Ausgrabung in Toyama.<br />

University of Tokyo,<br />

Anthropologie Abt., 1956<br />

Fig. 1 Taro Okamoto,<br />

Jomon period jar,<br />

excavated in Toyama.<br />

University of Tokyo,<br />

Anthropology Dept, 1956<br />

dunkelgrauem Lehm mit der Hand geformt und waren mit<br />

Verzierungen bedeckt, die man mit einer Schnur oder einem<br />

Stock, um den eine Schnur gewickelt war, eingedrückt hatte.<br />

Dabei entstand eine unregelmäßige Zeichnung von abwechselnd<br />

nach außen und innen gewölbten Formen, außerordentlich<br />

dynamische Formen, die Elemente einer naturverbundenen<br />

Symbolik waren. Obwohl wir die Bedeutungen der Symbole nicht<br />

kennen, kann es keinen Zweifel geben, dass Jägervölker die<br />

Schnurmuster-Keramiken im Gefühl der Einheit mit der Natur<br />

schufen, die als wohlgesonnene, von Geistern bevölkerte<br />

Sphäre wahrgenommen wurde.<br />

Taro Okamoto bezeichnet die Jomon-Frühkultur als „vierte<br />

Dimension”. Und obwohl heutzutage die Zeit als vierte Dimension<br />

gilt, geht es Okamoto eher um eine zeitlose Realität – um die<br />

von Geistern bevölkerte übernatürliche Sphäre. Der Verlust des<br />

religiösen Volksglaubens durch den modernen Menschen und<br />

damit auch die Fähigkeit, „mit der vierten Dimension zu kommunizieren”,<br />

hat zur Folge, dass der Künstler, den dieser Zustand<br />

beunruhigt, mit einer Kamera ausgerüstet seine Reisen dokumentiert<br />

und auf diese Weise eine moderne Form des „nikki“ oder<br />

„emaki“, d. h. eine illustrierte Geschichte, schafft, in der wie früher<br />

Wörter und Bilder sich vermischen, nur dass Letztere jetzt Fotografien<br />

sind.<br />

Kann die Fotografie aber die vierte Dimension zeigen? Kann<br />

sie das Unsichtbare sichtbar machen? Seit Menschengedenken<br />

versucht die Kunst, die geistige Wirklichkeit zu erreichen und<br />

das zu zeigen, was der Perzeption unzugänglich ist. Dieses<br />

uralte Problem der Kunst – auch der christlichen Kunst – wurde<br />

allgemein durch die Idee des Symbols gelöst, bei dem das sinnlich<br />

erfahrbare künstlerische Gebilde zu einem Zeichen wird,<br />

das sich selbst transzendiert, auf eine Wirklichkeit verweist, die<br />

den Sinnen unzugänglich ist.<br />

Die Literatur, in der das Wort stets auf eine Bedeutung verweist,<br />

eignet sich wesentlich besser, das mitzuteilen, was unsichtbar<br />

ist. Vielleicht stützt sich Okamoto deshalb auf das Wort. Ähnlich<br />

wie Takuma Nakahira, ein anderer durch Okinawa reisender<br />

Künstler, der die Beschränktheit des Fotoapparats (die Grenzen<br />

seiner Möglichkeiten) kennen gelernt hat, der nicht in der Lage<br />

ist, die hinter den Erscheinungen verborgene vierte Dimension<br />

festzuhalten – die man doch fühlen kann. In Europa sprechen<br />

wir vom Streben nach dem absoluten Sein. Im Osten bezeichnet<br />

man diese Dimension gewöhnlich als Leere.<br />

Heute wie früher scheint die Dynamik der japanischen Kunst<br />

das Ergebnis der steten Spannung zwischen der erfahrbaren<br />

Welt zeitlicher Erscheinungen und der „sich ausbreitenden“, nicht<br />

artikulierten, doch vergegenwärtigten Leere zu sein.<br />

Fig. 2 Taro Okamoto,<br />

Jomon-Tonfigur, 1956<br />

Fig. 2 Taro Okamoto,<br />

Jomon period clay<br />

figurine, 1956<br />

Krystyna Wilkoszewska 76 77<br />

green clay by hand, and decorated with the help of a<br />

cord or a stick with a cord wound around it. This gave<br />

rise to irregular patterns of protrusions and indentations,<br />

an exceptionally dynamic form laden with naturalistic<br />

symbolism. Although the meaning of the symbols remains<br />

unknown to us, there is no doubt that the rope pattern<br />

ceramics came into being as a result of the hunter peoples’<br />

sense of unity with nature, perceived as a benign realm<br />

overflowing with spirits.<br />

Taro Okamoto uses the term “fourth dimension” to<br />

describe the jomon culture. And although nowadays it<br />

is “time” that is understood to be the fourth dimension,<br />

Okamoto is probably thinking more of a timeless reality –<br />

the supernatural sphere that is peopled by spirits. An<br />

artist alarmed by contemporary man‘s loss of religious<br />

belief and his resulting inability to “enter into conversation<br />

with the fourth dimension” equips himself with a camera,<br />

documents his journeys and creates a modern form of<br />

the “nikki”, or “emaki”, i.e. an illustrated story, so that just<br />

as before, the words are interspersed with pictures, only<br />

now these are in the form of photographs.<br />

But can a photograph reveal the fourth dimension? Can<br />

it render the invisible visible? From time immemorial, art<br />

has wished to capture spiritual reality and manifest that<br />

which is inaccessible to the senses. This, the eternal<br />

problem of art, including Christian art, was universally<br />

solved by the concept of the symbol, which turns a sensorily<br />

accessible artistic creation into a sign that refers<br />

outside itself, to a reality inaccessible to the senses.<br />

Literature, where the word always refers to a meaning,<br />

is more suited to communicating the invisible. Perhaps<br />

that is why Okamoto utilises the word, as did Takuma<br />

Nakahira, another artist who travelled in the Okinawa<br />

region and came face to face with the powerlessness of<br />

the camera (the limit of its possibilities), unable as it is to<br />

capture the presence of the fourth dimension – although<br />

it can be felt – concealed behind phenomena. In Europe,<br />

we speak of striving for the absolute. In the East, this<br />

dimension is commonly described as emptiness.<br />

The dynamism of Japanese art, both past and present,<br />

appears to result from a permanent tension between the<br />

experienceable world of phenomena bound in time and<br />

the “spread” of an unarticulated but nonetheless manifested<br />

emptiness.<br />

We return once more to the haiku. An everyday occurrence,<br />

such as a frog hopping into the water, reveals the

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