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Katalog/Catalogue - deutsch/englisch

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Ohren und blasser Haut sehen die meisten Menschen aus wie<br />

ein ausgestopftes Tier.<br />

Das Spiel mit dem Passfoto ist ein Ritual wie die Abnahme des<br />

Fingerabdrucks. Im Zeitalter der Gentechnologie kann eine Kamera<br />

nicht mehr das Gerät sein, mit dem man ein Individuum identifiziert,<br />

aber sie wird weiterhin von den Behörden gerne benutzt.<br />

Ihr Blick hat eine moralische Wirkung wie der einer Aufseherin,<br />

die nachts die Eingangstür eines katholischen Internats bewacht.<br />

Vor drei Jahren sah ich auf dem Logan Airport in Boston an der<br />

Wand bei der Passkontrolle ein eingerahmtes Foto vom Präsidenten,<br />

der die Nationalflagge festhielt und wie auf einem Familienfoto<br />

lächelte.<br />

Während des Zweiten Weltkrieges gab es auf jedem Schulhof<br />

in Japan ein Häuschen, in dem ein Foto vom Kaiser aufbewahrt<br />

wurde. Es galt als Heldentat, im Fall eines militärischen Angriffs –<br />

anstatt sofort zu flüchten – zu diesem Häuschen zu rennen, um<br />

das Foto zu retten.<br />

Aus dem Bus, der mich vom JFK zum Grand Central bringt,<br />

fotografiere ich pausenlos durch die trübe Fensterscheibe. Alte<br />

Hochhäuser aus Backsteinen mit verrosteten Außentreppen.<br />

Ladenschilder, auf denen trostlos vertraute Namen der Imbissketten<br />

und Banken geschrieben stehen. Kegelförmige Hüter der<br />

Wassertanks auf den Dächern.<br />

Eine Fahne flattert im Wind. Das ist nicht eine Fahne, sondern<br />

die Fahne der Nation. Sie winkt jedem Menschen zu, der bei<br />

ihr vorbeigeht, und ihre Geste erweckt den Eindruck, als hätte<br />

sie eine eindeutige Botschaft zu vermitteln. Man kann sie nicht<br />

fassen, aber sie ist da.<br />

Eine Nation ist nicht bewohnbar. Dagegen ist ein Stadtteil, in<br />

dem man eine Katze namentlich kennt, bewohnbar. Die weiße<br />

Katze kommt mir entgegen. Ich erkenne sie wieder. Sie heißt<br />

Elisabeth und ist eine der Königinnen im Stadtteil Queens.<br />

Ich gehe die Straßen entlang und fotografiere die Ladenschilder.<br />

Die Gesichter der Buchstaben sehen griechisch, koreanisch,<br />

<strong>englisch</strong> oder japanisch aus, aber mein Eindruck kann manchmal<br />

täuschen. Nokia sieht japanischer aus als Sony. Ich sehe<br />

eine griechische Fahne flattern, neben ihr eine amerikanische.<br />

Ein musterhaftes Bild, friedlich und anständig. „Machen Sie es<br />

auch so, genauso!“, sagen die Fahnen zu mir. Ich bin skeptisch,<br />

aber ich kann nicht so schnell den Grund benennen.<br />

passport-holder passport photos are, especially when I<br />

knew the people involved. With staring eyes, protruding<br />

ears and pale skin, most people look rather like stuffed<br />

animals.<br />

The game with the passport photo is a ritual, like taking<br />

fingerprints. In an age of genetic technology, cameras<br />

surely can’t be the best device for identifying individuals<br />

any more, but the authorities still like using them. The<br />

eye of the camera has a moral effect like that of the<br />

night porter at the door of a Catholic boarding school.<br />

Three years ago, at Logan Airport in Boston, I saw a<br />

framed photo of the US president on the wall in passport<br />

control. He was holding the Stars and Stripes and<br />

smiling, as in a family photo.<br />

During World War II, every school yard had a little house<br />

where a photo of the Emperor was kept. It was considered<br />

an act of heroism in the event of a military attack<br />

to dash to this little house and save the photo rather<br />

than run away.<br />

On the bus taking me from JFK to Grand Central, I snap<br />

away non-stop through the grubby window pane. Old<br />

brick-built, high-rise buildings with rusty flights of stairs.<br />

Shop signs with the drearily familiar names of fast-food<br />

chains and banks written on them. Conical covers of<br />

water tanks on the roofs.<br />

A flag flutters in the wind. It’s not a flag, it’s the Stars<br />

and Stripes. It waves at everyone who goes past, a<br />

gesture that creates the impression of having a clear<br />

message to communicate. You don’t know what it is, but<br />

it’s there somewhere.<br />

You can’t live in a nation. On the other hand, you can<br />

live in a district where you know a cat by name. The<br />

white cat comes towards me. I recognise it. It’s called<br />

Elizabeth, and is one of the queens in Queens.<br />

I walk along the streets and photograph the shop signs.<br />

The faces of the letters look Greek, Korean, English or<br />

Japanese, but my impression might sometimes be wrong.<br />

Nokia looks more Japanese than Sony. I see a Greek<br />

flag fluttering, with the Stars and Stripes beside it. A<br />

model image, peaceful and decent. “You do the same,

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