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Katalog/Catalogue - deutsch/englisch

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4 Das Bestreben, die Leere durch die Artikulation eines Prozesses<br />

zu vergegenwärtigen, wird in der Teekunst vorbildlich<br />

verwirklicht. „Die Tee-Zeremonie entwickelte sich zu einer Kunst,<br />

die die Kunst verbirgt“8, schreibt Donald Keene. Die Teekunst<br />

entstammt dem Alltagsleben, wir haben es hier mit einer gewöhnlichen<br />

und praktischen Tätigkeit zu tun, die in den Rang einer<br />

Kunst mit einer ungewöhnlich raffinierten Ästhetik erhoben<br />

wurde. Nach ihrem Begründer Sen Rikyu stützt sich die Teekunst<br />

auf vier Grundsätze: Harmonie, Achtung, Reinheit und<br />

innere Ruhe. Es ist nicht leicht, sie zu verstehen, man kann sie<br />

sich nur in Form von sieben Regeln aneignen, indem man über<br />

Jahre hinweg die Teezeremonie zelebriert. Man sagt deshalb,<br />

dass Tee und Zen den gleichen Geschmack haben.<br />

Einst fragte ein Schüler den Meister Rikyu: Worauf beruht das<br />

Anrichten und Reichen des Tees? Sen Rikyu antwortete: „Mache<br />

eine köstliche Tasse Tee; schichte die Kohlen so, dass sie das<br />

Wasser erhitzen; arrangiere die Blumen wie auf dem Felde; im<br />

Sommer erwecke den Eindruck von Kühle, im Winter von Wärme;<br />

tue alles im Voraus; bereite dich auf Regen vor; und stelle dich<br />

auf deine Gäste ganz ein.“9<br />

Der Schüler, der so viel von den Geheimnissen der Zeremonie<br />

gehört hatte, quittierte die Antwort des Meisters enttäuscht mit<br />

einem „so viel weiß ich auch“. Daraufhin antwortete Sen Rikyu:<br />

„Deshalb bleibe ich dein Schüler.“<br />

Die Teekunst beruht darauf, dass man eine Schlichtheit und<br />

Natürlichkeit gerade dann erreicht, wenn man die Regeln strengstens<br />

befolgt. Spontaneität bedeutet nicht, dass man die Regeln<br />

verwirft, sondern ist die Meisterschaft ihrer Anwendung. Was bedeutet<br />

z. B. die Regel „arrangiere die Blumen wie auf dem Felde“?<br />

Erstens, nur manche Blumen eignen sich für das Teehaus,<br />

ungeeignet sind Blumen mit leuchtenden Farben und solche, die<br />

stark duften. Der Ausdruck „wie auf dem Felde“ ist keine Lizenz<br />

zur Unordnung, sondern meint eher die Notwendigkeit, mit<br />

einem Blümchen den ganzen Reichtum einer blühenden Wiese<br />

auszudrücken, die besondere Schönheit ans Licht zu bringen,<br />

die allen Blumen eigen ist, die Schönheit der Vergänglichkeit,<br />

denn die Zeit des Blühens ist so kurz. Deshalb schätzte Rikyu<br />

die Kamelie am meisten, die sofort nach ihrem Erblühen verwelkt.<br />

„Chabana“ ist nach den schriftlich überlieferten Kompositionsregeln<br />

der klassischen Teekunst eine einzelne Chrysantheme<br />

in einem breiten Gefäß, ein weißer Pfirsichstrauß in einem Blumenkorb,<br />

eine Schwertlilie in einem Bambusgefäß. Die Blumen<br />

wie auf dem Felde arrangieren heißt nicht, die Natur einfach<br />

nachzuahmen, sondern die Regeln anzuwenden und anschlie-<br />

Krystyna Wilkoszewska 80 81<br />

an ordinary and practical activity to an art form with an<br />

unusually refined aesthetic. According to its creator, Sen<br />

Rikyu, the art of tea is based on four principles: harmony,<br />

respect, purity and tranquillity. It is not easy to understand<br />

them; one can only acquire them in the form of<br />

seven rules, by celebrating the tea ceremony for a number<br />

of years. It is for this reason that people say tea and zen<br />

have the same taste.<br />

A pupil once asked Master Rikyu: How should tea be prepared<br />

and poured? Sen Rikyu answered: “Make a delicious<br />

bowl of tea; lay the charcoal so that it heats the water;<br />

arrange the flowers as they are in the field; in summer<br />

suggest coolness, in winter, warmth; do everything ahead<br />

of time; prepare for rain; and give those with whom you<br />

find yourself every consideration.”9<br />

The pupil, who had heard this much about the secrets<br />

of the ceremony, disappointedly replied to the master’s<br />

answer thus: “I already knew that much...”. To which<br />

Sen Rikyu answered: “That is why I remain your pupil.”<br />

The art of tea consists in attaining simplicity and naturalness<br />

precisely through strict adherence to rules. Spontaneity<br />

does not denote a rejection of the rules, but rather<br />

their skilled application. What, for example, does the rule<br />

“arrange the flowers as they are in the field” mean?<br />

First of all, only some flowers are suitable for the tea<br />

house, and those which are of too intense a colour or<br />

scent are excluded. The expression “as they are in the<br />

field” does not sanction disorder but rather signifies the<br />

need to express the richness of an entire field in bloom<br />

through one small flower, the extraction of the unique<br />

beauty that all flowers possess, a transient beauty, since<br />

the blossom lasts for such a short time. It was for this<br />

reason that Rikyu so highly valued the camellia flower<br />

that wilts immediately after blooming. “Chabana”, accord-<br />

Ing to the written principles of composition in the classics<br />

of tea, is composed as follows: a single chrysanthemum<br />

in a wide vessel, a white peach bouquet in a flower<br />

basket, and one iris in a bamboo receptacle.<br />

The ability to arrange the flowers as they are in the field<br />

does not imply a mere imitation of nature, but rather that<br />

one knows how to apply the rules and then, by bringing<br />

one’s own spirit and emotion into play, to overstep them.<br />

The concept of “kokoro ire” is important here, where the

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