PDF-Fassung - Hochschul-Informations-System GmbH
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20 2 Strukturelle Grundlagen<br />
2.1.3 Entwicklungstendenzen<br />
Aufgrund der zentralen Rolle der Lebenswissenschaften für den wissenschaftlichen und technologischen<br />
Fortschritt am Beginn des 21. Jahrhunderts wird die Bedeutung der biomedizinischen Forschung<br />
für die <strong>Hochschul</strong>medizin in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Die Anwendung biomedizinischer<br />
Methoden auf immer mehr Fragestellungen lässt eine weitere Expansion der<br />
Molekularen Medizin erwarten (vgl. Siewert/Niethammer 2002). Dabei ist die Erweiterung biomedizinischer<br />
Forschungsfragen von den molekularen Details zellulärer Stoffwechselprozesse auf eine<br />
ganzheitliche Betrachtung der Funktionsweise von Zellen, Organen und Organismen im Rahmen<br />
einer interdisziplinären <strong>System</strong>biologie absehbar. Die Erforschung biologischer <strong>System</strong>e setzt nicht<br />
nur die Inventarisierung und Funktionsbeschreibung ihrer genetischen Bausteine voraus, die derzeit<br />
im Rahmen der funktionellen Genomforschung erfolgt (vgl. dazu DFG 2002, S. 211ff.). Der<br />
Sprung auf die <strong>System</strong>ebene erfordert zusätzlich die Integration von Denkansätzen, Modellen, Algorithmen<br />
und Softwaretools zur Analyse und Simulation komplexer <strong>System</strong>e wie sie in Mathematik,<br />
der Informatik, der Physik und den Ingenieurwissenschaften entwickelt und angewendet werden<br />
(Reiß 2002, S. 5-19). Als Folge werden sich nicht nur die klassischen Fächergrenzen innerhalb der<br />
Lebenswissenschaften auflösen (vgl. DFG 2002, S. 21ff.), die <strong>System</strong>biologie wird auch die Zusammenarbeit<br />
mit den übrigen naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen forcieren.<br />
Die eingesetzten Methoden werden von einer weiter fortschreitenden Automatisierung und Computerisierung<br />
der Laborforschung geprägt werden. Parallel dazu wird voraussichtlich der Anteil der<br />
rein computergestützt arbeitenden Forscher zunehmen. In der tierexperimentellen Forschung ist<br />
mit einem wachsenden Bedarf an Tierexperimenten mit keimfrei zu haltenden Kleinnagern, vor mit<br />
allem SPF-, transgenen und Knock-out-Mäusen, zu rechnen, die in hochinstallierten Versuchstiereinrichtungen<br />
mit aufwendiger Raum-Luft-Technik untergebracht werden müssen. Dies liegt zum<br />
einen daran, dass ein wesentlicher Schritt in der Molekularen Medizin Experimente mit Tiermodellen<br />
der zu therapierenden Krankheit sind. Außerdem werden nach der Entzifferung des Genoms,<br />
d. h. der Analyse der Basenabfolge der menschlichen DNA, verstärkt einzelne Gene erforscht<br />
(o. V. Die Welt 2003). Um die Funktion eines einzelnen Gens, d. h. eines bestimmten Abschnitts<br />
auf der DNA, zu untersuchen, wird in der Regel ein Stamm gentechnisch veränderter Mäuse gezüchtet,<br />
in deren Erbgut das Gen zusätzlich eingebracht oder gezielt abgeschaltet wurde. Anschließend<br />
werden die Körperfunktionen der Mäuse mit einer Vielzahl von Experimenten untersucht,<br />
was einen erheblichen Bedarf an Versuchstieren zur Folge hat. Dagegen ist für die<br />
operativen Experimente mit einem zurückgehenden Bedarf an Großtieren zu rechnen.<br />
Breite Anwendung finden biomedizinische Forschungsergebnisse durch den Einsatz molekularbiologischer<br />
und gentechnischer Verfahren in der pharmazeutischen Industrie. So lässt sich beispielsweise<br />
Insulin nur durch Verwendung gentechnisch veränderter Bakterien in den heute benötigten<br />
Mengen herstellen. Dagegen steckt die Behandlung von Patienten durch das Einbringen<br />
therapeutischer Gene derzeit noch im Experimentierstadium. Ein erster Versuch der molekularbiologischen<br />
Behandlung einer Erbkrankheit bei mehreren Kindern hat zu einem spektakulären Rückschlag<br />
geführt (Latusseck 2003). Trotz weltweiter Forschungsbemühungen ist derzeit noch nicht<br />
abzusehen, wann molekulare Therapien in der klinischen Praxis eingesetzt werden können.<br />
Da an das Einbringen therapeutischer Gene in das Erbgut von Patienten wesentlich schärfere Bedingungen<br />
geknüpft werden als an gentechnische Tierexperimente, setzen klinische Forschungen<br />
weitreichendere Ressourcenanforderungen als Laborexperimente voraus. So wird die molekularbiologische<br />
Behandlung von Patienten Reinraumlabore nach GMP-Standard („Good manufacturing<br />
practice“) erfordern, um für die entwickelten Verfahren eine Zulassung von der US-amerikanischen<br />
FDA („Food and Drug Administration“) erhalten zu können, die für die weltweite Vermarktung unerlässlich<br />
ist. Offen ist aber, inwieweit bei absehbaren kommerziellen Verwertungsmöglichkeiten die<br />
pharmazeutische Industrie die Ressourcen für molekularbiologische klinischen Studien bereitstellen<br />
wird.<br />
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