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100 LITERATÛRZINÂTNE, FOLKLORISTIKA, MÂKSLA<br />

Karl Krauss), in seiner konservativen Fassung–(eine Unzahl von Romanen haben als<br />

Thema die emanzipierte Frau, welche die ganze Gesellschaft ins Unglück stürzt!), und<br />

seiner irren Fassung bei Otto Weininger.” 6<br />

Die Selbstzeugisse von Alma Mahler–Werfel, ungeachtet dessen, dass sie postum<br />

erscheinen, gehören in das Umfeld dieser Tendenzen und sind als Versuch des<br />

Eindringens einer Frau in das literarische Feld, das um 1900 immer noch ein männliches<br />

bleibt, zu deuten. So gesehen stellen die “Tagebuch–Suiten” ein wichtiges<br />

Untersuchungsobjekt dar.<br />

Einen ausdrücklichen Grund des Tagebuchschreibens gibt die Diaristin nicht an.<br />

Das lässt sich auch im Nachhinein kaum feststellen, jedoch könnten der frühe Tod<br />

des Vaters und die darauf folgende Heirat der Mutter vielleicht das treibende Motiv<br />

für das Schreiben sein: Einerseits wünscht sie sich die Familie als Ruhepol,<br />

andererseits gibt es viele Aufzeichnungen, die dafür sprechen, dass sie aus diesem<br />

Kreis hinaustreten möchte. Rückblickend konstatiert sie in „Mein Leben”: „Diese<br />

Jugendjahre trennten mich innerlich vollkommen von meiner Umgebung” 7 , „Ich ging<br />

jetzt allein aus, denn meine Mutter hatte Gott sei Dank wenig Zeit für mich” 8 und<br />

spricht etwas weiter über ihre “sogenannte Familie” 9 Oft werden in dem Tagebuch die<br />

Streitigkeiten in der Familie erwähnt: die Mutter beschimpft Alma in der Öffenlichkeit,<br />

schreit sie an, kann gewaltätig sein. Repräsentativ kommentiert sie an einer Stelle das<br />

Verhalten der Mutter: “Alles, was sich Mama über mich Böses dachte und denkt, kam<br />

da heraus gesprudelt”. 10<br />

Der psychische Diskomfort, der oft über ihre Beziehung zu der Mutter definiert<br />

wird, die problematische familiäre Situation stimulieren folglich das Tagebuchschreiben.<br />

Andererseits wird in den “Tagebuch–Suiten” ihre Sehnsucht nach dem<br />

Selbstausdruck immer wieder thematisiert. Gleich zu Beginn der Aufzeichnungen<br />

schreibt sie: “Ich möchte eine große That thun. Möchte eine wirklich gute Oper<br />

komponieren, was bei Frauen noch nicht der Fall war. Ja, das möchte ich. Mit einem<br />

Wort, ich möchte etwas sein und werden.” 11 Zu ihrem künstlerischen Vorbild wird in<br />

diesen Jahren die Sängerin Lilli Lehmann:”Große Künstlerin und große Frau!”, –<br />

drückt die Diaristin beinahe formelhaft ihre Begeisterung aus. 12 In dem Streben nach<br />

der Selbstverwirklichung –einem wichtigen Kriterium ihrer künstlerisch veranlagten<br />

Natur –spielt das eigene Geschlecht eine grosse Rolle. Dennoch wird von Anfang an<br />

die Möglichkeit angezweifelt, sich als Frau schöpferisch realisieren zu können. Nach<br />

einer Musikstunde bei ihrem Lehrer Josef Labor notiert sie in ihr Tagebuch: “Labor.<br />

Ich spielte ihm heute alle 8 Lieder vor, und er sagte: Das ist aller Ehren wert ... für ein<br />

Mädel. Ja, es ist ein Fluch, Mädel zu sein, man kann über seine Grenzen nicht<br />

hinaus” 13 Überlegungen dieser Art werden zur Obsession des Diariums. Mit dem<br />

Beginn der regelmässigen Aufzeichnungen sichert sich die junge Diaristin den<br />

eigenen freien Raum, in dem sie als weiblich artikulierendes Subjekt, ihre Innerlichkeit<br />

auf vielfältige Weise bewusst auszudrücken versucht.<br />

Der Form nach stellt dieses Tagebuch, “ein unglaublich langer Text”(XI), eine<br />

komplizierte vielschichtige stark gegliederte Struktur dar, was auch in dem Doppeltitel<br />

programmatisch angekündigt wird: Tagebuch–Suiten. Dass die Diaristin den<br />

musikalischen Begriff “Suite” – in den Musiktheorie soviel wie ein Instrumentalstück,<br />

das aus mehreren Sätzen entweder einer Oper oder eines Baletts oder aus Elementen

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