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Tatjana Kuharenoka. Sievieðu dienasgrâmatas “Wiener Moderne” laikâ: Almas Mâleres–Verfeles ..<br />

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anderer Genres bestehen kann, aber auch Zusammenstellung von einzelnen Tänzen –<br />

aufgreift und in den Bereich der Literatur transportiert, ist sicher nicht zufällig. Der<br />

Suite–Begriff erweist sich als formprägend für die Stuktur des Tagebuches. Damit wird<br />

auch die Freiheit des Tagebuches von jeder Art poetologischen Normen postuliert.<br />

Als einzelne Texteinheiten sind die Suiten mit der kapitelweisen Einteilung eines<br />

Romans (einige Suiten wurden mit dem Motto versehen) oder mit der Szene bzw. dem<br />

Akt im Drama vergleichbar14 Es sind 21 Hefte, oder 25 Suiten, d.h. einzelne Hefte, in die in Alma Schindler über<br />

eine Zeitspanne von vier Jahren – vom 25. Januar 1898 bis 16. Januar 1902 –ihre<br />

Eintragungen gemacht hat.<br />

Die Anlage einzelner Suiten, die Notate eines Tages unterliegen keinen Regeln.<br />

Sie umfassen Beschreibungen alltäglicher Begebenheiten, der familiären Verhältnisse,<br />

impressionistische Naturbeobachtungen, Frustrationen in ihrem Liebesleben, denn<br />

eben in diesem Zeitraum entfalten sich ihre Liebesbeziehungen zu Gustav Klimt,<br />

Alexander Zemlinsky und Gustav Mahler, die drei wichtige thematische Konzentrationspunke<br />

des Tagebuches bilden. Überraschend wirkt die Erlebnisintensität der<br />

jungen Alma: Ihre Tage sind meistenst ausgefüllt mit Lesen, Komponieren, Zeichnen,<br />

Klavier spielen, Theaterbesuchen und natürlich mit dem Tagebuchschreiben. Die<br />

Materialfülle, die die Vielseitigkeit des Lebens der Diaristin widerspiegelt, wird– und<br />

hier zeigt sich die Affinität zur Suite – in verschiedenen Aussageformen erfasst:<br />

Berichte, Parodie, literarische Porträts, Briefe, Briefentwürfe, Aphorismen, Skizzen,<br />

Dialoge, Träume und darüber hinaus seitenlange Reflexionen über die Kunst und<br />

Literatur, die sich durch Souveräinitätsgeist auszeichnen. Das Tagebuch wird für das<br />

schreibende Ich auf weiten Strecken zum Arbeitsjournal.<br />

Parallel dazu konstituirt sich eine andere Ebene im Tagebuch: Die Diaristin<br />

sammelt und klebt in ihre Tagebuchhefte Eintrittskarten, Theaterprogramme,<br />

Postkarten und Ansichtskarten, Fotographien ein, illustriert die Eintragungen mit<br />

eigenen Zeichnungen, meistens Selbstporträts und stellt damit visuelle Bezüge zu dem<br />

Geschriebenen her.<br />

Hier macht sich die Tradition verschiedener Formen des Stammbuches bzw. des<br />

Poesiealbums bemerkbar15 , die in der Rolle eines “Gedenkbuches”, eines<br />

Erinnerungsbüchleins auftrat und neben Notaten reichlich mit Zeichnungen,<br />

Scherenschnitten und inbesondere ab zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts mit ganz<br />

“weiblichen Beigaben” wie gepressten Blumen, Spitzenbildern u.ä. versehen wurde.<br />

Gleichzeitig steht dieses Verfahren ganz im Zeichen der ästhetischen<br />

Bestrebungen der Wiener Moderne. Jacques Le Rider, der die Skizzen von Peter<br />

Altenberg als Gattung des “intimen Albums” auffasst, stellt fest, dass bei Altenberg<br />

die Grenzen des traditionellen Tagebuches eines Schrifstellers oder eines<br />

Intellektuellen, das im allgemeinen auf Schrift und Text beschränkt bleibt, gesprengt<br />

werden, um Bilder und Collagen von verschiedenen Dokumenten hinzuzufügen16 Darin sieht Le Ride “den entscheidenden Einfluss einer besonders in Wien gängigen<br />

Gattung der “Chronik”, die sich Feuilleton nannte” 17 .<br />

Das Tagebuch von Alma Mahler–Werfel verfügt folglich über eine Reihe von<br />

Mitteln und Mechanismen, die einerseits die Wahrheits–Illusion vermitteln und der<br />

Tagebuchaussage den Anschein der Authentizität verleihen, wodurch der Text

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