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Tatjana Kuharenoka. Sievieðu dienasgrâmatas “Wiener Moderne” laikâ: Almas Mâleres–Verfeles ..<br />

103<br />

immer eine gewisse Koketterie dabei, und ich musste ihm leider rechtgeben.” Und<br />

stellt weiter fest: “Ich habe mich oft belogen in diesen Blättern und viele meiner<br />

Thaten beschönigt” 23 . Das Tagebuch –Ich fühlt sich folglich überhaupt nicht dem<br />

Postulat der Wahrheitsfindung verpflichtet. Es handelt sich dabei sich nicht um das<br />

spezifische Problem der Jahrhundertwende, etwa um das Schnitzlersche<br />

“Ineinanderfliessen von Wahrheit und Lüge, sondern vielmehr um das Erkennen der<br />

besonderen Rolle des Ich im Laufe des Tagebuchschreibens, denn laut Manfred<br />

Jurgensen „wo immer sich das Individuum sprachlich reflektiert, entfaltet sich ein<br />

Prozeß der Fiktionalisierung” 24 . Das heisst, das Ich, wenn es durch die Sprache<br />

ausgedrückt wird, erscheint als etwas anderes. Es kann zugleich wahr und unwahr<br />

sein. Damit wird das Tagebuch auch als fiktionaler Selbtsentwurf aufgefasst, was nicht<br />

zuletzt den Einsatz des breiten Spektrums der Techniken der Selbtstilisierung<br />

voraussetzt und rechtfertigt.<br />

Am 6. September 1898 notiert die 19–jährige Alma Schindler: “Ich schreibe<br />

vielleicht nicht alles in mein Tagebuch, aber ich deute alles an – meine geheimsten<br />

Empfindungen – und wenn ich nach Jahren nicht mehr im Stande // sein kann [bin]”<br />

zwischen den Zeilen “zu lesen, dann ist es gut, dass ich es noch angedeutet habe –<br />

denn dann bin ich nicht werth, mich je ganz und voll zu kennen. Und wenn ich mich<br />

je meiner Meinung schämen sollte.” 25 (116). Man kann diese Eintragung nicht nur mit<br />

der im allgemeinen für jeden Diaristen typischen Angst verbinden, dass ihre<br />

Aufzeichnungen von anderer Person gelesen werden Obwohl das Tagebuch Hinweise<br />

enthält, die darauf schliessen lassen, das es unter Kontrolle der Mutter stand. In “Mein<br />

Leben” wird rückblickend konstatiert: “Ihr Ehrenwort brechend, studierte sie(die<br />

Mutter– ) täglich mein Tagebuchstammeln...” 26 . Auch die Alma Mahler–Werfels oft<br />

zugeschriebene Sorge um das eigene Erscheinungsbild scheint von sekundärer<br />

Bedeutung zu sein. Vielmehr zeichnen hier sich bestimmte Strategien des<br />

Tagebuchschreibens ab. “Andeuten”, “nicht alles schreiben” und das sich daraus<br />

resultierende “zwischen den Zeilen lesen” erweisen sich als bewusst von der Diaristin<br />

eingesetztes Verfahren der textuellen Konstruktion. Sie entwirft damit auch die<br />

Vorstellung von der alles bestimmenden Rolle des Tagebuch–Ichs, das über völlige<br />

Freiheit einer Selbstgestaltung verfügt.<br />

“Andeuten” zu können, heisst auch eine eigene Sprechweise zu entwickeln, eine<br />

kodierte Sprache, Chiffren benutzen, um eigene Gedanken und Empfindungen bei der<br />

späteren im Diarium bereits “vorprogrammierten” Lektüre eigener Notitzen abrufen<br />

zu können.<br />

Die Relektüre eigener Tagebücher, eine für dieses Genre durchaus charakteristische<br />

Erscheinung, wird auch von Alma Mahler–Werfel ständig praktiziert. Auf<br />

dieses Problem macht Alma Mahler –Werfel aufmerksam in einem Gespräch mit<br />

Arthur Schnitzler vom 24. März 1928, das in „Mein Leben” erwähnt wird: “Ich<br />

erzählte Schnitzler, daß ich meine alten Tagebücher gelesen wieder hätte, daß sie mir<br />

gemäßer seien als die Aufzeichnungen der späteren Jahre...” 27<br />

Die Herausgeber weisen darauf hin, dass der Vergleich von Tinten und<br />

Schriftzügen des Originalmanuskripts Beweise dafür liefert, dass Alma Mahler–<br />

Werfel ihre Schrift zu verschiedenen Zeiten gelesen hat. Sicher hat sie das auch zu<br />

verschiedenen Zwecken getan. Auch in den Anmerkungen der Herausgeber zum

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