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Gedankenexperimente Eine Familie philosophischer Verfahren

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Die dritte Konsequenz aus der These, daß Beurteilungen in <strong>Gedankenexperimente</strong>n die Form<br />

kontrafaktischer Konditionale haben, besteht darin, daß sie uns erlaubt zwischen Beurteilungen<br />

gemäß einer Theorie und Beurteilungen an sich zu unterscheiden.<br />

Ein Szenario kann nicht nur in verschiedener Hinsicht, also gemäß verschiedener Fragestellungen<br />

beurteilt werden, es kann auch unter verschiedenen Voraussetzungen beurteilt werden. Man kann<br />

Szenarien gemäß einer Theorie beurteilen. Solche Beurteilungen haben die Form: Wenn die<br />

Theorie T zutrifft, dann gilt: Wenn p der Fall wäre, wäre auch q der Fall. 207 Wir können Szenarien<br />

aber auch unabhängig von einer bestimmten Theorie beurteilen. Sehen wir uns als Beispiel die<br />

dankenswert einfachen Gettierfälle an. Wir können eine Gettiersituation gemäß der klassischen<br />

Wissensdefinition beurteilen. Gemäß dieser Beurteilung hat das Subjekt in der Gettiersituation<br />

das fragliche Wissen. Es scheint, als könnten wir aber auch das Szenario einfach so beurteilen,<br />

und gemäß einer solchen Beurteilung hat das Subjekt das fragliche Wissen nicht.<br />

Es stellen sich drei Fragen: Erstens, gibt es <strong>Gedankenexperimente</strong>, in denen nur eine der beiden<br />

Arten von Beurteilung vorkommt? Zweitens, gibt es überhaupt Beurteilungen an sich? Haben wir<br />

solche Beurteilungen nicht schon als Chimäre entlarvt, als wir feststellten, daß die Untersuchung<br />

des Wahrheitswertes eines kontrafaktischen Konditionals immer auf Annahmen über unsere<br />

Welt zurückgreifen muß? Und drittens, welcher der beiden Beurteilungen sollten wir in<br />

Konfliktfällen den Vorzug geben und warum? Selbst auf die klar zugeschnittenen Gettierfälle<br />

kann man nämlich im Prinzip mit der Bevorzugung der theoriegeleiteten Beurteilung reagieren. 208<br />

Die erste dieser Fragen läßt sich verhältnismäßig einfach beantworten. Man erinnere sich z.B. an<br />

die beiden Szenarien, in denen Alfred und Bert ihre Frauen töten bzw. sterben lassen. 209 Die<br />

Beurteilung der beiden Fälle ist nicht theoriegeleitet, weil wir noch gar keine Theorie zur Hand<br />

haben, die uns leiten könnte. Auch der Fall allein der theoriegeleiteten Beurteilung ist leicht<br />

vorstellbar: Man nehme eine Reihe von Thesen, gemäß denen sich in einem Szenario ein<br />

Widerspruch ableiten läßt. Die Beurteilungen, welche im Spiel sind, werden allesamt<br />

theoriegeleitet sein.<br />

All dies gilt natürlich nur unter der Bedingung, daß es überhaupt Beurteilungen gibt, die nicht<br />

theoriegeleitet sind. Aber der Verdacht, daß wir die Existenz solcher Beurteilungen bereits<br />

207 Also (t → (p□→q), was genau der zweiten Prämisse in Häggqvists logischer Form entspricht.<br />

208 Man würde dann z.B. versuchen, die abweichende Beurteilung als nicht vertrauenswürdige Intuition<br />

fortzuerklären.<br />

209 Siehe Kapitel 2.1.2.2.<br />

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