Gedankenexperimente Eine Familie philosophischer Verfahren
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der Unterschied zwischen Tun und Zulassen sein. Da die Szenarien moralisch unterschiedlich<br />
beurteilt werden, muß, so der Schluß, der Unterschied grundsätzlich moralisch relevant sein. Nun<br />
haben wir mit demselben <strong>Verfahren</strong> inkompatible Ergebnisse erzielt. Offenbar stimmt etwas<br />
nicht mit dem Schlußverfahren.<br />
Die Moral dieses Beispiels ist schlicht und eindringlich: Vorsicht mit Verallgemeinerungen! Ein<br />
einzelnes Szenario kann sehr irreführend sein, wenn es darum geht, eine geeignete Ausgangsbasis<br />
zur Theoriebildung zu erhalten. Herauszufinden, welche Aspekte des Szenarios verallgemeinerbar<br />
sind und welche als irrelevante Details keinen Eingang in die Theoriebildung finden sollten, ist<br />
unter Umständen eine schwierige Aufgabe, zu der man verschiedene Szenarien abwägen muß,<br />
sich immer wieder korrigiert und neue Thesen testet. 365<br />
Gendler berührt im Übrigen in ihren Überlegungen eine Richtung des additiven Fehlschlusses,<br />
die sie Methode der Übereinstimmung nennt. Man betrachte folgendes Gedankenexperiment, das<br />
Gendler zu Demonstrationszwecken anführt:<br />
To the extent that respect is an attitude constrained by rationality, it is surely rational to treat a<br />
living human body with respect; even in cases where our actions will not cause pain to another,<br />
we bear certain obligations towards living human bodies that preclude our treating them with<br />
wanton disregard. It is also rational, to the extent that respect is an attitude constrained by<br />
rationality, to treat a human body–even if it is non-living–with respect; again, we bear certain<br />
obligations that preclude our treating them with wanton disregard. But the living human body has<br />
a feature that the non-living human body lacks, namely, being alive. So the Method of Agreement<br />
suggests the following analysis of this case: Since whenever there is something that is a human<br />
body that is living (X + Y), it is rational to treat that thing with respect (Z), and whenever there is<br />
something that is a (mere) human body (X), it is also rational to treat that thing with respect (Z),<br />
then what explains the rationality of respect in both cases (X and X + Y) must be the simple fact<br />
that the entity is a human body (X). 366<br />
Aber, so Gendler, wir können am Fall des toten Körpers nicht ablesen, was die entscheidende<br />
Eigenschaft ist, damit jemand unseren Respekt verdient. Es zeigt sich, daß es kein zweites Paar<br />
von Szenarien braucht, um den additiven Fehlschluß nachzuweisen. Allerdings versucht Gendler<br />
364 Ich selbst finde seine Beurteilung nicht ohne weiteres überzeugend. Aber es handelt sich schließlich nur um ein<br />
illustrierendes Beispiel, zu dem sich leicht Alternativen finden lassen.<br />
365 Das bedeutet übrigens nicht, daß es automatisch ein Problem mit der Universalisierbarkeit moralischer Urteile<br />
gäbe. Universalisierbarkeit bedeutet nur, daß wenn Handlung h richtig ist, auch jede Handlung richtig ist, die h in<br />
moralisch relevanter Hinsicht gleicht. (Und über die Supervenienz von moralischen über nichtmoralischen<br />
Eigenschaften bekommt man außerdem ein zweites Unversalisierbarkeitsprinzip, daß wenn Handlung h richtig ist,<br />
auch jede Handlung richtig ist, die h in allen nicht-moralischen Eigenschaften gleicht.) Dieses Prinzip wird hier nicht<br />
in Frage gestellt. Es wird vielmehr ein <strong>Verfahren</strong> problematisiert, moralisch relevante Eigenschaften zu finden, daß<br />
unter der Hand auf eine viel stärkere These zurückgreift, daß wenn Handlung h richtig ist, auch jede Handlung<br />
richtig ist, die diejenigen nicht-moralischen Eigenschaften besitzt, aufgrund derer h richtig ist. Vgl. Schroth [UP].<br />
366 Gendler [TE] 138. Gendlers Method of Agreement ist eine Variante einer Idee von Mill „If two or more instances<br />
of the phenomenon under investigation have only one circumstance in common, the circumstance in which alone all<br />
the instances agree, is the cause (or effect) of the given phenomenon.“ Mill, zitiert nach Gendler [TE] 136.<br />
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