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Gedankenexperimente Eine Familie philosophischer Verfahren

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Das beschriebene Szenario ist fiktiv. Es ist nicht kontrafaktisch im ersten Sinn, denn ich muß<br />

keine meiner Meinungen einklammern, um es mir vorzustellen, und es nicht kontrafaktisch im<br />

zweiten Sinn, weil Situationen dieser Art leider vorgekommen sind. Die oben konstatierte<br />

Unschärfe der zweiten Unterscheidung tritt aber auch in diesem Beispiel zu Tage: Wenn wir die<br />

Namen als von Existenzquantoren gebundene Variablen lesen und von einigen Details wie der<br />

Verwechslung von Putzmittel mit Sahne absehen, so erhalten wir eine allgemeinere Beschreibung<br />

des Szenarios. (Es gibt jemanden, der seine Frau haßt und sich wünscht, daß sie tot ist etc.)<br />

Dieses allgemeinere Szenario ist faktisch: Es gab tatsächlich Männer, die ihre Frauen aus Haß<br />

vergiftet haben und solche, die ihre vergifteten Frauen haben sterben lassen.<br />

Mit Thomsons ursprünglichem Szenario haben wir ein Beispiel gefunden für ein nicht<br />

kontrafaktisches Szenario, das im <strong>Verfahren</strong> eine Rolle spielt. Szenarien können aber auch<br />

faktisch sein, und das nicht nur, weil die Grenze zu fiktiven Szenarien unscharf ist. Hat man z.B.<br />

einmal den Mechanismus von Gettierfällen begriffen, so ist es verhältnismäßig einfach, sie zu<br />

erzeugen. 149<br />

Szenarien können also kontrafaktisch, fiktiv oder faktisch sein. Die These, daß Szenarien immer<br />

kontrafaktisch sind, läßt sich nun zwar nicht halten, aber vielleicht gibt es eine schwächere These,<br />

die sich verteidigen läßt. Es ist sicherlich unstrittig, daß viele spektakuläre <strong>Gedankenexperimente</strong><br />

genau deswegen als spektakulär empfunden werden, weil ihre Szenarien kontrafaktisch und auch<br />

noch besonders fremd sind. Doch dieser Umstand gibt uns eher eine Ursache für die falsche<br />

These, daß Szenarien immer kontrafaktisch sind als daß wir etwas gehaltvolles über Szenarien<br />

lernen würden.<br />

Im Folgenden diskutiere ich die These, daß es in <strong>Gedankenexperimente</strong>n nie auf die Faktizität<br />

des vorgestellten Szenarios ankommt. Dazu nenne ich zunächst zwei plausibiliserende Gründe,<br />

um im nächsten Kapitel dann drei Fälle zu diskutieren, die gegen die These zu sprechen scheinen.<br />

Der erste plausibilisierende Grund lautet: Man kann an den argumentativen Funktionen des<br />

<strong>Gedankenexperimente</strong>s ablesen, daß es auf die Faktizität des Szenarios nicht ankommt. Am<br />

einfachsten ist dies zu erkennen, wenn das vorgestellte Szenario als Gegenbeispiel benutzt wird.<br />

Soll ein These widerlegt werden, die mit einem Notwendigkeitsoperator beginnt, so benötigt man<br />

keine faktisches Gegenbeispiel. Ein fiktives oder kontrafaktisches Szenario genügt, solange es im<br />

relevanten Sinn möglich ist.<br />

149 Williamson z.B. erzählt von seiner Produktion eines faktischen Gettierfalles für die Zuhörer eines seiner Vorträge<br />

in [APMM] 12.<br />

75

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