Gedankenexperimente Eine Familie philosophischer Verfahren
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Tatsächlich kommt in Mayers Argumentation ein zusätzlicher Gedanke ins Spiel, der uns nun bis<br />
zum Ende begleiten wird. Sie ist der Ansicht, daß wir in <strong>Gedankenexperimente</strong>n stets auf<br />
Szenarien reagieren und diese Reaktionen dann interpretieren müssen. Genauer, Mayer glaubt,<br />
daß wir zunächst sprachlich auf Szenarien reagieren und diese Reaktionen nun interpretiert<br />
werden müßten. Es ist diese Idee, die sich hinter der „Interpretation“ von Beurteilungen verbirgt.<br />
Selbst wenn dieses Bild korrekt sein sollte, was ich bestreite, so ist nicht klar, warum solche<br />
Interpretation, in die sicherlich wieder Hintergrundwissen einginge, eine besondere Schwierigkeit<br />
für das <strong>Verfahren</strong> Gedankenexperiment darstellen sollte. Ich diskutiere die Plausibilität von<br />
Mayers Einwand im Zusammenhang der Ablehnung des falschen Zweischrittes von sprachlicher<br />
Reaktion und anschließender Interpretation in Kapitel 6.2.2. Der Zweischritt ist aber nur der<br />
Spezialfall der grundlegenden Struktur von eher passiver Reaktion auf das Szenario und<br />
anschließender Evaluation dieser Reaktion. Daß diese Struktur die Phänomene nicht erfaßt,<br />
argumentiere ich in Kapitel 6.3.<br />
6.2.2 Kritik an der Sprach- und Begriffsthese<br />
<strong>Eine</strong> These, die in changierender Form immer wieder in der Literatur zu finden ist, lautet, daß wir<br />
aus <strong>Gedankenexperimente</strong>n nur über unsere Sprache oder unsere Begriffe lernen. Nun wird<br />
niemand bestreiten, daß wir auch über unsere Sprache oder Begriffe lernen können, wenn wir<br />
Szenarien beurteilen. Aber warum sollten wir darauf beschränkt sein, über Sprache oder Begriffe<br />
zu lernen? Prima facie ist die These extrem unplausibel. Es scheint mir zwei Überlegungen zu<br />
geben, welche die These plausibilisieren könnten, wenn sie selbst korrekt wären.<br />
Die erste dieser Überlegungen sieht in <strong>Gedankenexperimente</strong>n einen zusätzlichen Schritt<br />
enthalten. Wir reagieren auf Szenarien sprachlich, so die Idee, z.B. indem wir dem Subjekt in<br />
Gettierfällen Wissen nicht zuschreiben. Diese sprachliche Reaktion dient dann als Begründung<br />
des eigentlichen Urteils, daß das Subjekt auch tatsächlich nicht weiß, daß das-und-das der Fall ist.<br />
Die ist z.B. Mayers Position. Sie fordert ein, daß wir nicht einfach von der Frage, unter welchen<br />
Umständen wir von X sprechen würden zur Frage übergehen dürfen, was X ist.<br />
Doch Mayers Analyse, daß wir in <strong>Gedankenexperimente</strong>n unseren Sprachgebrauch beobachten<br />
und von dieser Beobachtung (oft unerlaubt) zu Tatsachenurteilen übergehen ist für die<br />
allermeisten <strong>Gedankenexperimente</strong> nicht sonderlich plausibel. Nehmen wir einen Gettierfall zur<br />
Hand. Ich beobachte nicht erst meine sprachliche Reaktion auf den Fall, um dann zu einem<br />
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