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Gedankenexperimente Eine Familie philosophischer Verfahren

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Die sechste Strategie besteht darin, das Szenario zu konkretisieren. Damit ist mehr gemeint als die<br />

Forderung aus Kapitel 3.1, daß das Szenario ausreichend beschrieben sein muß, um beurteilbar<br />

zu sein. Die Strategie baut vielmehr auf der Idee auf, daß, salopp gesprochen, der Teufel sich<br />

häufig im Detail versteckt. Dementsprechend hofft man darauf, daß eine Ausdifferenzierung des<br />

Szenarios den Widerspruch zwischen den Beurteilungen entweder zum Verschwinden bringt<br />

oder aber genauer bestimmen hilft, warum die Beurteilungen von einander abweichen.<br />

Die erste der in Kapitel 4.1.1 erwähnten Antwortoptionen des Handlungsutilitaristen auf<br />

Gegenbeispiele entspricht genau dieser Idee. Indem er etwa das Szenario des den Rasen<br />

mähenden Jungens konkretisiert, hofft der Handlungsutilitarist zeigen zu können, daß es sinnvoll<br />

ist, den Jungen tatsächlich nicht auszuzahlen. Typischerweise wird die Ankündigung dieser<br />

Konkretisierung von Handlungsutilitaristen nicht wahrgemacht und dient insofern meist nur als<br />

Immunisierungsstrategie.<br />

Die siebte Strategie schließlich setzt ganz auf externe Gründe. <strong>Eine</strong> Beurteilung kann eine These<br />

nahe legen, gegen die überwältigende unabhängige Gründe sprechen. Und das kann ein Grund<br />

sein, diese Beurteilung aufzugeben. Ein einfaches Beispiel stellt Bertrands Box Paradox aus Kapitel<br />

1.1.2.4 dar. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung gibt uns überragende Gründe, die Beurteilung des<br />

Szenarios für falsch zu halten, welche die Wahrscheinlichkeit, die Schachtel mit einer Gold- und<br />

einer Silbermünze zu wählen, mit ½ angibt. In den meisten Fällen ist die Lage natürlich nicht so<br />

eindeutig.<br />

Diese Liste ist bei weitem nicht vollständig. Doch sie zeigt, daß ein Gedankenexperiment nicht<br />

als fehlgeschlagen aufgegeben werden muß, sobald Philosophen in ihren Beurteilungen des<br />

Szenarios voneinander abweichen. Es gibt viele Strategien, mit Konflikten zwischen<br />

Beurteilungen umzugehen und der philosophische Diskurs endet nicht mit diesen Konflikten.<br />

<strong>Eine</strong> künstliche Trennung zwischen dem Szenario und seiner Beurteilung auf der einen Seite und<br />

der anschließenden philosophischen Ausnutzung auf der anderen Seite kann die Idee nahe legen,<br />

daß <strong>Gedankenexperimente</strong>, bei denen wir in der Beurteilung des Szenarios nicht übereinstimmen,<br />

immer als gescheitert anzusehen sind. Sobald man die Künstlichkeit dieser Trennung begreift,<br />

zeigt sich, daß unser Umgang mit vorgestellten Szenarien ein ganzes Repertoire an Möglichkeiten<br />

enthält, mit Beurteilungskonflikten argumentativ umzugehen.<br />

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