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Gedankenexperimente Eine Familie philosophischer Verfahren

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Szenarien zu entscheiden. Ich führe exemplarisch einige dieser Strategien vor, um zu zeigen, daß<br />

wir Beurteilungskonflikten keineswegs hilflos ausgeliefert sind. Dieses Ergebnis wird in Kapitel 6<br />

hilfreich sein, wo ich unter anderem Überlegungen zum Erkenntniswert von<br />

<strong>Gedankenexperimente</strong>n diskutiere, die gerade die Unentscheidbarkeit widersprechender<br />

Beurteilungen behaupten. Offenbar empfinden viele Philosophen die Abwesenheit eines<br />

Algorithmus, die Existenz von argumentativen Spielräumen als problematisch. Hier bestehen<br />

aber keine grundsätzlichen Unterschiede zu anderen Urteilen (mathematische und logische<br />

Urteile vielleicht ausgenommen).<br />

Zwei Beispiele für Strategien mit Konflikten zwischen Beurteilungen umzugehen kennen wir<br />

bereits. Es sind die Tests zwei und drei der drei Tests aus Kapitel 4.3.3.2. Dort habe ich<br />

argumentiert, daß diese Tests gerade in philosophisch schwierigen Fällen nicht taugen, ja daß<br />

philosophisch schwierige Fälle geradezu dadurch ausgezeichnet sind, daß solche Tests sie nicht<br />

einfach entscheiden können. Die metaphilosophische Untersuchung, so lautete meine Folgerung,<br />

kann die objektphilosophische Debatte nicht ersetzen. Genauso sollten wir die hier behandelten<br />

Strategien nicht als Versuche verstehen, im Fall von Beurteilungskonflikten ein für alle Mal die<br />

Frage zu entscheiden, welche Beurteilung korrekt ist. Vielmehr handelt es sich um argumentative<br />

Züge, die sich in manchen, aber nicht in allen Fällen als gute Züge erweisen, weil sie uns<br />

deutlicher sehen lassen, wo das Problem verborgen ist, dessen äußere Gestalt der<br />

Beurteilungskonflikt ist.<br />

Die erste Strategie lautet: Finde eine neutrale Beschreibung! Manchmal ist offensichtlich, daß der<br />

Konflikt nicht erst auf der Beurteilungsebene beginnt, weil die Kontrahenten bereits<br />

abweichende Beschreibungen des Szenarios geben. <strong>Eine</strong> Strategie mit diesem Problem<br />

umzugehen, besteht offensichtlich darin, nach einer neutralen Beschreibung des Szenarios zu<br />

suchen, also einer Beschreibung, der alle Kontrahenten zustimmen können. Typischerweise wird<br />

der Konflikt verschiedener Beschreibungen aber nicht derart offensichtlich und direkt sichtbar<br />

sein, sondern er verbirgt sich in dem Umstand, daß verschiedene Diskutanden Begriffe<br />

unterschiedlich verstehen. Insbesondere lassen sich Begriffe in philosophischen Diskussionen oft<br />

schwächer oder stärker verstehen. 405 Diese versteckten Unterschiede sind ein klassisches Problem<br />

405 In der philosophischen Umgangssprache versucht man auf stärkere Begriffe Bezug zu nehmen, indem man von<br />

„in einem emphatischen Sinn“ redet, von „reichen Begriffen“ oder „gehaltvollen Begriffe“. In der ethischen<br />

Diskussion gibt es als Sonderfall das Phänomen sogenannter „dicker“ Begriffe, also solcher Begriffe (wie z.B.<br />

*grausam*), die sowohl deskriptiven wie auch normativen Gehalt haben. Es geschieht durchaus oft, daß Teilnehmer<br />

an einer Diskussion einen Begriff (z.B. *Folter*) teils normativ aufgeladen verstehen, teils rein deskriptiv.<br />

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