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Gedankenexperimente Eine Familie philosophischer Verfahren

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Wenn man zeigen möchte, daß eine These, die angeblich notwendig gilt, falsch ist, so genügt es,<br />

einen möglichen Fall aufzuzeigen, in dem die These falsch ist. Anders gesagt: Um zu zeigen, daß<br />

‚□p’ falsch ist, genügt es, eine mögliche Welt zu finden, in der p nicht der Fall ist. Wären z.B.<br />

Gettierfälle nicht möglich, so taugten sie nicht als Gegenbeispiele.<br />

Andere Verwendungen des Szenarios verlangen nicht, daß das Szenario möglich ist. Z.B. werden<br />

manche Szenarien explizit ins Spiel gebracht, um ihre Möglichkeit in Frage zu stellen oder ihre<br />

Unmöglichkeit zu erweisen. Man denke z.B. an Zeitreise-Szenarien, in denen jemand zurückreist,<br />

um seinen eigenen Großvater zu töten. Die Idee des Großvater-<strong>Gedankenexperimente</strong>s ist grob<br />

diese: Wenn es möglich ist, innerhalb einer Zeitlinie zurückzureisen, dann sollte es z.B. Paul<br />

möglich sein, zurückzureisen und den eigenen Großvater zu töten, bevor dieser Gelegenheit<br />

hatte, Pauls Mutter zu zeugen. Das aber hieße, daß auch Paul nie gezeugt wurde und also nicht in<br />

der Zeit zurückreisen konnte, um seinen Großvater zu töten. Wenn es Paul möglich wäre, den<br />

eigenen Großvater zu töten, bevor der Pauls Mutter gezeugt hat, so folgte, daß es nicht möglich<br />

ist: Also ist es nicht möglich. Da aber die Möglichkeit des Großvatermordes aus der Möglichkeit<br />

von Zeitreisen folgt, so sind Zeitreisen nicht möglich. 157<br />

Ein anderes bekanntes Szenario, das explizit eingeführt wird, um seine Unmöglichkeit zu<br />

erweisen ist Putnams Szenario des Gehirns im Tank. 158 Solche Szenarien ernst zu nehmen, mag<br />

beinhalten, für eine Zeit lang so zu tun, als seien sie möglich. Das Szenario muß ja überhaupt<br />

eingeführt werden. Am Ende aber legt man sich mit der Durchführung des<br />

<strong>Gedankenexperimente</strong>s nicht auf die Möglichkeit des Szenarios fest.<br />

157 Ich gebe hier nur die Skizze eines solchen <strong>Gedankenexperimente</strong>s. Insbesondere möchte ich nicht behaupten, daß<br />

das Großvatergedankenexperiment, sauber ausformuliert, tatsächlich zeigt, daß Zeitreisen innerhalb einer Zeitlinie<br />

nicht möglich sind. Das Großvatergedankenexperiment erfordert sicherlich eine Erklärung, ist aber nicht das letzte<br />

Wort in der Debatte. Für die Möglichkeit von Zeitreisen und die Harmlosigkeit des Großvatereinwandes<br />

argumentieren zum Beispiel Lewis in seinem manchmal obskuren, aber anregenden [PoTT] und Artzenius und<br />

Maudlin, endlich einmal unter Berufung auf moderne Physik, in [TTMP].<br />

158 Das Tankszenario wurde in die philosophische Welt eingeführt von Hilary Putnam in [RTH]. Tankszenarien<br />

sollen eine skeptische Bedrohung modellieren. Und der Skeptiker legt sich auf die Möglichkeit seines Szenarios fest.<br />

Putnam könnte also so verstanden werden, daß er ein Argument gegen das Gedankenexperiment des Skeptikers gibt.<br />

Dann wäre das Tankszenario kein echtes Beispiel für ein Szenario, das ersonnen wird, um seine Unmöglichkeit zu<br />

erweisen. Gegen diese Lesart spricht die Mühe, die Putnam (und andere nach ihm) auf die Modellierung des<br />

Szenarios verwandt haben. Es wird nicht nur ein skeptisches Szenario übernommen und mit neuen Details<br />

modernisiert, sondern es wird versucht, die zu widerlegende Position weitestmöglich zu stärken. Für einen modernen<br />

Autoren, der das Tankszenario anführt, um seine Möglichkeit zu verteidigen, vgl. Nozick [PE] 168f.<br />

Die aktuellste und umfassendste Beschäftigung mit dem Szenario –wiederum mit dem Ziel, den Skeptiker zu<br />

widerlegen– stellt Olaf Müllers [WoI] dar.<br />

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