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Gedankenexperimente Eine Familie philosophischer Verfahren

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Es ist auch gar nicht weiter verwunderlich, daß z.B. erfolgreiche Gegenbeispiele zum Startpunkt<br />

für Verbesserungen der angegriffenen Theorie werden. Man denke zum Beispiel an Gettierfälle.<br />

In Gettiers Aufsatz sind seine Szenarien allein als Gegenbeispiel dargestellt. 38 Die nachfolgende<br />

Diskussion hat zumeist nicht Gettiers Beispiele in Zweifel gezogen. Diskutiert wurde vielmehr,<br />

wie verallgemeinerbar die Szenarien sind und wie der Begriff des Wissens gefaßt werden muß,<br />

um diese Fälle abzudecken. In dieser Weise sind viele Szenarien, die ursprünglich einmal als<br />

Gegenbeispiele gedacht sein mochten, verwandt worden, um Probleme zu markieren, die jede<br />

künftige Theorie erklären können soll.<br />

Dieser Zusammenhang sollte uns nicht verführen zu glauben, die explorative Verwendung von<br />

<strong>Gedankenexperimente</strong>n sei an die Verwendung als Gegenbeispiel gebunden. Szenarien können<br />

explorativ verwendet werden ohne als Gegenbeispiele gedient zu haben. Daß<br />

<strong>Gedankenexperimente</strong> am Beginn einer philosophischen Beschäftigung mit einem Thema stehen<br />

können, sieht man z.B. an Judith Thomsons [KLDT]. Thomson stellt zwei Szenarien einander<br />

gegenüber. Zum einen Philippa Foots Szenario, in dem ein Straßenbahnfahrer ohne bremsen zu<br />

können auf eine Gruppe von fünf Menschen zurast. Er könnte auf ein Nebengleis ausweichen,<br />

so die fünf retten, würde dabei aber eine Person töten, die auf dem Nebengleis steht. Das zweite<br />

Szenario beschreibt fünf Patienten mit einer seltenen Blutgruppe, die fünf verschiedene Organe<br />

benötigen, um zu überleben. Es wird eine gesunde Person gefunden, die als Spender für alle fünf<br />

fungieren könnte. Allerdings ist diese Person gesund und wird, wenn nicht eingegriffen wird, alle<br />

fünf überleben. In beiden Fällen ist die Frage, ob es geboten ist, eine Person zu töten, um fünf<br />

andere zu retten. 39 Thomson behauptet, daß unsere Antworten in beiden Fällen verschieden<br />

ausfallen und fragt nun nach Unterschieden, die unsere unterschiedlichen Beurteilungen erklären<br />

können. Sie startet also bewußt mit zwei Einzelfällen, von denen nicht klar ist, inwiefern sie<br />

verallgemeinerbar sind. Tatsächlich läßt sich Thomsons Frage nach der Vereinbarkeit unserer<br />

Beurteilungen der beiden Fälle als Frage nach einer plausiblen Verallgemeinerung verstehen.<br />

Welche Fälle sollten wir eher wie das Straßenbahnszenario beurteilen, welche Fälle wie das<br />

Organspendeszenario und welches sind die Faktoren, die den Unterschied der Beurteilung<br />

ausmachen?<br />

Für unsere Zwecke kommt es vor allem darauf an, zu erkennen, daß Thomsons Szenarien nicht<br />

als Gegenbeispiel dienen. Sie könnten zwar diese Funktion übernehmen, faktisch tun sie es aber<br />

38 Gettier [IJTB].<br />

39 Ob man die Handlung im ersten Fall als Tötung beschreiben will, ist wiederum umstritten.<br />

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