Stammeschronik - Stamm Voortrekker
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Gitarre gebasteltes Bücherregal, und auf dem Laminatboden liegt eine seiner ersten Steinmetzarbeiten<br />
wie ein großer Türstopper. »<strong>Stamm</strong> Roter Löwe« ist darin eingemeißelt. Und<br />
vier »Affen« stapeln sich im Schrank, fellüberzogene, an vielen Lagerfeuern geräucherte<br />
Rucksäcke. Mit zwei weiteren Freunden hat Sonnabend vor wenigen Monaten die Wohngemeinschaft<br />
gegründet. Ein Student ist mit eingezogen und Felix Niehoff, ein 18-jähriger<br />
Schüler, für den Pfadfinderei längst aufgehört hat, Hobby zu sein. Seine Gruppe sei vielmehr<br />
eine »Lebensgemeinschaft über den Tag hinaus«.<br />
Diese könnte allerdings früher enden als erträumt. Schon im nächsten Jahr wird Felix Jazzgitarre<br />
in Berkeley studieren. Bis dahin allerdings werden sie sich auf der Terrasse noch häufig<br />
Geschichten erzählen wie die, als sie vom letzten Geld eine Packung Tiefkühlspinat für einen<br />
verstauchten Knöchel gekauft haben. Und sollte Albert Sonnabends ehemalige Mitschülerin<br />
Daniela zu Besuch sein, wird sie wieder die Augen rollen, weil diese Geschichten »Geschlossene<br />
Gesellschaft!« heißen und den Schlüssel zur Pointe offenbar nur besitzt, wer dabei gewesen<br />
ist.<br />
Das war sie nie, weil sie Pfadfinder erst in der Oberstufe kennenlernte. Zu spät, wie sie<br />
glaubt. »Da hat man doch meist Hobbys, die man lieber alleine macht.« Nein, kauzig oder<br />
sonst besonders auffällig habe sie die mit den Halstüchern nie gefunden, sagt sie. Während<br />
Felix vermutet, dass Pfadfinder insgeheim doch Eindruck machen. Erst kürzlich habe ihn ein<br />
Mädchen angesprochen: »Bist du nicht derjenige, der am Rhein Feuer machen konnte?«<br />
Feuer, es ist immer das Feuer, das in Erinnerung bleibt. Zum Brandzeichen der Organisation<br />
ist es geworden, das je nach Perspektive für eine romantisch versponnene Weltsicht steht oder<br />
auch für einen Ort, an dem etwas Ruhe herrscht vor Noten, Marken, Privatfernsehen. Ein Ort,<br />
der in den Medien nicht stattfindet, weil ihm das Spektakuläre fehlt, und der kaum Streit- oder<br />
Skandalpotenzial besitzt.<br />
Und wie mit dem Feuer ist es mit der Pfadfinderei überhaupt. Über Pfadfinder lässt sich reden,<br />
aber nicht kontrovers diskutieren wie über die Jugendbewegungen der Moderne, die fast<br />
immer mit einer Provokation auf die öffentliche Bühne gesprungen sind. Pfadfinder nicht.<br />
Sie geben keinen Anstoß zu Debatten über Drogen wie die Love-Parade oder über Gewalt an<br />
Schulen, wie es Computerspiele getan haben. Über Pfadfinder mag man Vorurteile haben,<br />
aber selten eine Meinung - das Höchstmaß der Kritik ist, dass sie einem egal sind. Welcher<br />
Werbekunde würde sich für eine solche Gruppe interessieren? Und wer wittert ein Geschäft<br />
mit einer Szene, die in der Zeit des Leichtbauzeltes auf Konstruktionen aus Stoff und Holz<br />
vertraut, die statt Goretex lieber Schlupfjacken aus Wolltuch trägt und selber singt, statt iPod<br />
zu hören?<br />
Das Zeltlager als attraktiver Gegenentwurf zur Designwelt<br />
Die äußere Form möge über Jahrzehnte gleich geblieben sein, die Idee sei aber hochaktuell,<br />
sagt Christian Lüders vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) über Pfadfinderei. Ein Gegenentwurf<br />
zur Designwelt, »wo man sich auch mal die Hände schmutzig machen darf«. Ein hohes<br />
Maß an Autonomie biete sie, um die eigene Lebenswelt zu gestalten. Wo könnten Jugendliche<br />
das noch finden? Natürlich ließen sich Rücksichtnahme oder Verantwortung auch in anderen<br />
Vereinen lernen. Allerdings besäßen diese immer einen speziellen Zuschnitt, während Pfadfinderei<br />
alle Bereiche von musisch bis technisch abdecke, ohne rückwärtsgewandt zu sein.<br />
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