Stammeschronik - Stamm Voortrekker
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unter Baden-Powell internationales Erkennungszeichen gewesen und sollten ursprünglich<br />
soziale Unterschiede überdecken. »Das Dilemma ist, dass weder der Name Pfadfinder noch<br />
die Symbole geschützt sind.«<br />
Viele Ortsgruppen haben einen hohen Gymnasiastenanteil<br />
Obwohl sich Pfadfindergruppen gegen Neonazis engagierten, müssten sich die Verbände noch<br />
schärfer gegen Rechtsextreme abgrenzen. Im Zweifelsfall könne der Laie schließlich nicht<br />
wissen, was Original und was Fälschung sei. Und warum, fragt Lüders, sollten sie auf die<br />
Kluft verzichten?<br />
»Wir leben doch in Wahrheit nicht in der individualisierten, sondern in der pluralisierten Gesellschaft.<br />
Jede Gruppe praktiziert ihre nach außen getragene Zugehörigkeit: Ob Grufties im<br />
Konzert oder Fußballfans. An denen stößt sich aber niemand.« Hemd und Halstuch seien das<br />
Zeichen eines Verbandes, der sich immer zu demokratischen Strukturen bekannt habe. »Hier<br />
gehöre ich dazu!«, bedeute die Kluft. »Und wo sie hingehören«, sagt Lüders, »das wissen<br />
heute leider viel zu wenige.«<br />
Ja, natürlich sei ihm bewusst, dass Nichtpfadfinder sie mitunter für Nazis hielten, sagt Steinmetzlehrling<br />
Sonnabend, auf die Gitarre gestützt wie auf einen Spaten. Deutsche Lieder, Lederhose<br />
und Barett, das sei offenbar eine Gleichung, die leicht »rechtsextrem« ergebe. So oft<br />
scheint er die Frage danach schon gehört zu haben, dass seine Antworten routiniert-rhetorisch<br />
klingen. Wieso nicht Sippen- oder <strong>Stamm</strong>esführer sagen, wenn es auch Lokführer gebe? Warum<br />
nicht Halstuch tragen, nur weil es die HJ entliehen hat?<br />
Für Sebastian »Klößchen« Ebendorff vom <strong>Stamm</strong> Vagabunden aus Westerfilde, dessen Zelte<br />
nur wenige Meter entfernt stehen, ist die Kluft weniger eine politische als eine modische Frage.<br />
»Andere tragen ihre Hosen hier«, sagt er und sackt mit den Händen auf Kniehöhe. »Da<br />
finde ich unseren Style viel besser.«<br />
Mit knapp 15 Mitgliedern sind die Vagabunden ins Exploris-Lager angereist, zu Fuß hat Sebastians<br />
Sippe rund 25 Kilometer der Strecke zurückgelegt. So zügig seien sie marschiert,<br />
erzählt er und zieht an der ewig rutschenden Jeans, dass sie viel zu früh am Lagergrund angekommen<br />
wären - da haben sie die halbe Nacht an einer Tankstelle verbracht, gemeinsam mit<br />
anderen vom Regen überraschten Pfadfindern, die dort saßen, in aufgeschnittene Müllsäcke<br />
gehüllt.<br />
Am Nachmittag haben sie dann auf einer Lichtung Sketche für den Jurtenabend geprobt, und<br />
als der Förster kam, wurde den Dortmundern plötzlich wieder klar, dass ein Wald mehr ist als<br />
eine Ansammlung von Bäumen. Sie sollten vor einer trächtigen Bache auf der Hut sein. Da<br />
sind sie schnell durchs Dickicht zurückgegangen.<br />
Das ist der Reiz an der Natur, dass nichts vorhersehbar ist und sie sich jeder Planbarkeit entzieht.<br />
Ein Vollprogramm, das keine Anfangszeiten kennt und keine Werbeblöcke zum Umschalten.<br />
Das geheimnisvoll bleibt und still und spannend, selbst wenn nichts geschieht. Wo<br />
sich mit jedem knackenden Ast und jeder auf die Zeltplane fallenden Eichel Großes anzukündigen<br />
scheint und die Luft nicht nach U-Bahn-Schacht und Videothek riecht, sondern nach<br />
Laub und Farnen. Sich in ihr zu behaupten, das heißt Natur. Selbst zurechtzukommen, egal<br />
wie es kommt. Für einen Nachmittag, einen Tag oder eine Nacht.<br />
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