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Stammeschronik - Stamm Voortrekker

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Ähnlich wie die Kirchen, sagt Lüders, stellten sich auch die Pfadfinder die Frage, wie sie sich<br />

modernisieren könnten, ohne dabei ihren Kern zu verletzen. Bislang sei das gelungen. Einen<br />

»extrem dynamischen Haufen« nennt er sie, bereit, Ideen und Techniken wie GPS oder Internet<br />

in seine Arbeit zu integrieren. »Das sind aufgeweckte Leute und nah dran am Leben.«<br />

Ein extremer Gegenpol zur Designwelt ist Exploris, das Lager des Deutschen Pfadfinderverbandes<br />

(DPV), eine Zeltstadt mit 5000 Einwohnern, ein Wald aus entasteten Stangen und<br />

Rauchsäulen, auf denen der Himmel wie ein graues Zeltdach hängt. Fahnen wehen an Masten,<br />

und über braun getretene Graswege gehen Jungen in Jeans und Kniebundhosen und Mädchen<br />

in akkurater Kluft oder in Trainingsjacken, auf denen Halstücher baumeln. Auch etwas<br />

schratige Typen sind darunter, mit gewaltigen Messern am Hosenbund wie unterwegs zur<br />

Grizzlyjagd oder mit Koppel und jenem breitkrempigen Hut aus Wollfilz, den man bis dahin<br />

nur vom Enten-Oberst aus Walt Disneys »Fähnlein Fieselschweif« kannte.<br />

Um einen großen Platz liegen imposante Jurtenkonstruktionen, mit Feuer geheizte Badetröge<br />

und einige Zeltcafés. Entfernt am Waldrand stehen Batterien von Chemieklos als Zugeständnis,<br />

dass auch der Reiz des Ursprünglichen seine Grenzen kennt, und an den Waschstellen<br />

hängen lange Listen mit einem Programm, in das in großen Wellen die Außenwelt schwappt:<br />

japanisches Schwertfechten, Schwitzhütte bauen, Besuch beim Kölner Stadt-Anzeiger, Bewerbungstraining.<br />

Etwas verunsichert betrachten Spaziergänger, was für ein seltsamer Wanderzirkus vier Tage<br />

lang auf ihren Äckern gastiert. Herr und Frau Draeger aus Schwalmtal zum Beispiel, die Pfadfinderei<br />

für eine gute Sache halten, auch wenn sie sich nicht recht einigen können, ob deren<br />

Aufgabe nun Nächstenhilfe oder Nächstenliebe sei. Aber von der Straße seien die Jugendlichen<br />

schon mal weg, sagt Herr Draeger, und schön singen könnten sie auch.<br />

Da kann er nicht alle Beiträge des Singewettstreits am Baldachin aus schwarzem Zeltstoff<br />

gehört haben. Nicht die Coverversion von Reinhard Meys Über den Wolken und auch nicht<br />

das Lied, in dem den Indianern die Jagdgründe schrumpfen. Vielleicht meint Herr Draeger die<br />

pathoslastigen deutschen Lieder, wie sie in diesem Moment Mitglieder des <strong>Stamm</strong>es Roter<br />

Löwe vortragen. Mädchen in Röcken, und Albert Sonnabend mit seinen Freunden wieder mit<br />

Barett und Lederhose, in der Hand ein Banner. Mehrstimmig singen sie und so ernsthaft, dass<br />

die Mitarbeiterin eines Radiosenders leise ihren Nachbarn fragt, ob das nicht etwas unheimlich<br />

sei.<br />

Es ist der ewige, diffuse Verdacht, der den Pfadfindern anhängt: Könnte es nicht doch eine<br />

rechtsextreme Organisation sein? Selten wird die Vermutung ausgesprochen, eher wabert sie<br />

beim Anblick junger Menschen in Kluft und Lederhosen im Kopf umher. Ein Affekt, der sich<br />

nicht aus programmatischen Inhalten ableitet, sondern aus der irgendwie verstörenden Tatsache,<br />

dass diese Jugendlichen eben diese Kluft tragen ? also eine Art von Uniform.<br />

Belege für solche Mutmaßungen finden sich allerdings weder in der Gegenwart noch in der<br />

Vergangenheit. Bereits 1933 wurden die Pfadfinderverbände in Deutschland verboten, den<br />

Nationalsozialisten missfiel vor allem die internationale Ausrichtung. Wer weiterhin eine<br />

Gruppe führte, kam ins Zuchthaus oder Konzentrationslager, das waren nicht wenige. Nur die<br />

Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) rettete zunächst ein Staatsvertrag zwischen<br />

Deutschem Reich und Vatikan, 1938 musste auch sie ihre Arbeit einstellen.<br />

Wenn rechtsextreme Gruppen heute von den Pfadfindern Elemente übernähmen, sagt Christian<br />

Lüders, könne man das nicht den Pfadfindern vorwerfen. Hemd und Halstuch seien schon<br />

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