edition two corporate responsibility magazine ... - Phase 4 GmbH
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GESELLSCHAFT & WIRTSCHAFT<br />
2.1 Risikomanagement<br />
Ein neues Risiko: Als in Deutschland die ersten<br />
BSE-Fälle bekannt wurden, ergab eine Umfrage,<br />
dass 85 Prozent der Deutschen den Rinderwahn<br />
für eine ernste Bedrohung der Volksgesundheit<br />
hielten. In England, wo man die Krankheit seit Jahren<br />
kannte, schätzten zur gleichen Zeit nur 40 Prozent<br />
der Befragten BSE als bedrohlich ein, obwohl<br />
in England viel mehr Menschen und Tiere daran<br />
gestorben waren als in Deutschland.<br />
Aktualität: Im Oktober 2002 war im Raum Washington<br />
D.C. die Angst davor, von einem Heckenschützen<br />
getötet zu werden, viel größer als die<br />
Furcht vor dem viel höheren Risiko, an einer<br />
Krebserkrankung zu sterben. Die bewusste Wahrnehmung<br />
war reduziert.<br />
Könnte es mich treffen? In einer einzigen von<br />
einer Million Wasserflaschen befindet sich Gift.<br />
Sie bekommen eine dieser Flaschen. Ihr Vergiftungsrisiko<br />
beträgt rein statistisch nur eins zu<br />
einer Million. Trotzdem scheuen Sie davor<br />
zurück, aus der Flasche zu trinken, denn es könnte<br />
Sie ja doch treffen.<br />
Risiko-Nutzen-Abwägung: Übersteigt der Nutzen<br />
eines Produkts das damit verbundene Risiko, erscheint<br />
uns das Risiko geringer, ungeachtet der<br />
mathematischen Wahrscheinlichkeit. Als etwa Pocken<br />
noch verbreitet waren, wurde der Nutzen<br />
einer Schutzimpfung für größer gehalten als das<br />
Risiko etwaiger Nebenwirkungen. Heute, da diese<br />
Krankheit nahezu ausgerottet ist, hat für manche<br />
Eltern die Möglichkeit eines Impfschadens stärkeres<br />
Gewicht als der Nutzen der Impfung.<br />
Vertrauen: Je weniger wir den Menschen vertrauen,<br />
die uns einem Risiko aussetzen, oder denen,<br />
die uns über das Risiko aufklären, desto größer ist<br />
unsere Angst. Die Regierung Japans informierte<br />
ihre Bürger beim Auftreten der ersten BSE-Fälle<br />
nur unzureichend und verscherzte sich dadurch<br />
das Vertrauen. In diesem Land wurde deshalb<br />
monatelang erheblich weniger Rindfleisch verkauft<br />
als vorher.<br />
Diese Erkenntnisse über die Wahrnehmung von<br />
Gefahren sind für Risikomanager sehr bedeutsam.<br />
Menschen, die auf Grund emotionaler Faktoren<br />
große Angst vor relativ geringen Risiken<br />
wie dem Fliegen oder Pflanzenschutzmittel in der<br />
Nahrung haben, treffen aus dieser Angst heraus<br />
oft gefährliche Entscheidungen. Beispielsweise<br />
fährt heute mancher aus Furcht vor terroristischen<br />
Anschlägen lieber mit dem Auto, statt in<br />
ein Flugzeug zu steigen. Dabei starben in den<br />
Jahren 1995 bis 2001 in Deutschland durchschnittlich<br />
6041 Menschen pro Jahr in Kraftfahrzeugen<br />
und nur 65 bei der Luftfahrt. Falsche<br />
Wahrnehmung beschwört zusätzliche Gefahren<br />
für Leib und Leben herauf, die Risikomanager in<br />
Betracht ziehen müssen.<br />
DIE SUCHE NACH SCHUTZ<br />
Über die Folgen für den Einzelnen hinaus kann<br />
die Fehleinschätzung von Gefährdungspotenzialen<br />
gesellschaftliche Probleme verursachen.<br />
Fürchten viele Menschen ähnliche Risiken, verlangen<br />
sie Schutz – unabhängig von den statistischen<br />
Wahrscheinlichkeiten. Das kann Regierungen<br />
und Unternehmen sogar dazu zwingen, Zeit<br />
und Geld auf eher geringe Risiken zu verwenden.<br />
Diese Mittel fehlen dann wiederum bei der<br />
Abwehr größerer Gefahren. Bleibt der Schutz vor<br />
diesen hohen Risiken aus, werden Personen zu<br />
Schaden kommen.<br />
Aber die angeborene Neigung der Menschen, auf<br />
Gefahren sowohl emotional als auch rational zu<br />
reagieren, bedeutet für Risikomanager zugleich<br />
eine Herausforderung und eine Chance. Bei<br />
Regierungen und Unternehmen kann das Wissen<br />
über die Mechanismen der Risikowahrnehmung<br />
das Verständnis für die von Paul Slovic so<br />
genannte zweigeteilte Rationalität („rival rationality“)<br />
fördern, mit der die Menschen Risiken beurteilen<br />
und sich vor ihnen zu schützen suchen.<br />
Dieses Verständnis wiederum führt zu Methoden<br />
des Risikomanagements, die nicht nur die Fakten<br />
berücksichtigen, sondern auch die emotionalen<br />
Wurzeln unserer Ängste. Das hat viele Vorteile:<br />
Solche Methoden schaffen größeres Vertrauen in<br />
der Öffentlichkeit, sorgen für mehr Konsens in<br />
Fragen der Risikoabwehr, helfen den Menschen,<br />
ihre Ängste zu kontrollieren, und erlauben es<br />
Staat und Wirtschaft, unter möglichst rationellem<br />
Einsatz von Ressourcen die Gesundheit der Bevölkerung<br />
und die Umwelt optimal zu schützen.<br />
40 Two 2003