edition two corporate responsibility magazine ... - Phase 4 GmbH
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SOZIALES<br />
5.1 Demografie<br />
Sozialstaat in Bedrängnis<br />
Die demografische Zeitbombe in Deutschland, Italien oder Spanien lässt sich<br />
weder durch einen Babyboom noch durch Zuwanderung entschärfen. Deshalb werden<br />
sich die Gesellschaften neu organisieren müssen. Erste Ansätze gibt es schon.<br />
V ON ANDREAS LANG<br />
Schwer lasten die Verteilungsprobleme einer ergrauten<br />
Gesellschaft auf dem fürsorgenden Staat.<br />
„In allen Industriegesellschaften beuten die Alten<br />
heute die Jungen aus, das hat es so noch nie gegeben“,<br />
sagt der Hamburger Trendforscher Professor<br />
Peter Wippermann. „Der steigende Finanzierungsdruck<br />
führt zu einer schleichenden Verabschiedung<br />
der Jüngeren aus den Sozialsystemen und zu<br />
einem Abdriften in die Schattenwirtschaft.“ Droht<br />
dem Generationenvertrag die Kündigung?<br />
Schon heute herrscht der Eindruck vor, die Alten<br />
würden die Ressourcen der Jungen aufzehren.<br />
Dabei steht die eigentliche Zerreißprobe für die<br />
Solidargemeinschaft noch aus. Das Erdbeben<br />
beginnt, wenn sich in 20 bis 30 Jahren die geburtenstarken<br />
Jahrgänge aus dem Erwerbsleben<br />
verabschieden und junge Arbeitnehmer nicht in<br />
ausreichender Zahl bereitstehen, um ihre Altersversorgung<br />
zu sichern. Ausgelöst durch demografische<br />
Verwerfungen, rollt auf die Industriestaaten<br />
ein wahrer Tsunami zu. „Auf die ganze Welt<br />
bezogen, beträgt der Anteil der über 60-Jährigen<br />
im Augenblick zehn Prozent, im Jahr 2050 wird er<br />
bei ungefähr 20 bis 25 Prozent liegen“, rechnet<br />
Professor Axel Börsch-Supan vor, Leiter des<br />
Mannheim Research Institute for the Economics<br />
of Aging (MEA). Unter Kinderlosigkeit und Vergreisung<br />
besonders zu leiden haben Frankreich,<br />
Spanien und Italien, prognostiziert das Center<br />
for Strategic and International Studies (CSIS) in<br />
Washington D.C. Am wenigsten Sorgen müssen<br />
sich die angelsächsischen Staaten machen.<br />
In Deutschland, das mit einer künftigen Altenquote<br />
von 40 Prozent im oberen Mittelfeld der<br />
gefährdeten Staaten liegt, schrillen bereits die<br />
Alarmsirenen. Flugs hat die Bundesregierung<br />
nach der Wahl eine „Kommission für die Nachhaltigkeit<br />
der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme“<br />
eingesetzt – unter Vorsitz von<br />
Chefreformer Professor Bert Rürup (siehe Interview<br />
in Edition One, S. 74). Doch mancher hält<br />
wenig davon, dass sich in Berlin ständig neue<br />
Kommissionäre die Klinke in die Hand geben.<br />
„Die Vorschläge liegen auf dem Tisch, jetzt muss<br />
gehandelt werden“, fordert Professor Eckart<br />
Bomsdorf vom Seminar für Wirtschafts- und Sozialstatistik<br />
der Universität zu Köln. Bloße Umverteilung<br />
reiche nicht, um die Fiskalpolitik wirklich<br />
nachhaltig zu machen: „Mitveran<strong>two</strong>rtlich für die<br />
Dauerkrise der sozialen Sicherungssysteme ist<br />
unser Anspruchsdenken. Wir müssen einsehen,<br />
dass der Staat nicht für alles aufkommen kann.“<br />
RUF NACH REFORMEN<br />
Die Zeit ist reif. Nach Umfragen der Mannheimer<br />
Forschungsgruppe Wahlen zeigt sich eine große<br />
Mehrheit der Bundesbürger zur Übernahme von<br />
mehr Eigenveran<strong>two</strong>rtung bereit. Aber wie dorthin<br />
gelangen, wem Opfer abverlangen? Sicher,<br />
soziale Gerechtigkeit ist ein Prozess des Aushandelns<br />
ohne objektives Maß. Doch die schwindende<br />
Zahl an Kindern macht deutlich, dass etwas<br />
nicht stimmt mit der Familienpolitik in Europa.<br />
Haben wir Väter und Mütter allein gelassen?<br />
Gerade für Frauen wird es immer schwieriger, den<br />
Spagat zwischen Beruf und Familie zu schaffen.<br />
Jede Dritte bleibt heute zeitlebens ohne Nachwuchs.<br />
Kinderwünsche werden aufgeschoben und<br />
oft genug im Lauf der Jahre ganz aufgegeben. Kein<br />
Wunder, denn mit der Qualifikation von Frauen<br />
Global beträgt der<br />
Anteil der 60-Jährigen<br />
zehn Prozent. 2050<br />
wird er bei 20 bis 25<br />
Prozent liegen, in<br />
Westeuropa sogar bei<br />
35 Prozent.<br />
Two 2003 89