edition two corporate responsibility magazine ... - Phase 4 GmbH
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SOZIALES<br />
5.1 Demografie<br />
„Länger arbeiten für weniger Rente“<br />
Professor Bernd Raffelhüschen gilt als Pionier der Generationenbilanzierung.<br />
Seine Warnung: Ohne grundlegende Reform ist die deutsche Rentenkasse bald leer.<br />
Als designiertes Mitglied der Sozialkommission<br />
der Bundesregierung sollen Sie<br />
Vorschläge für eine generationengerechte<br />
Rentenreform erarbeiten. Wie könnten<br />
deren Eckpunkte aussehen?<br />
RAFFELHÜSCHEN Die Schritte zu<br />
mehr Generationengerechtigkeit in der<br />
Rente sind vergleichsweise einfach:<br />
Erstens müssen wir den Vorruhestand<br />
so drastisch wie möglich einschränken,<br />
zweitens dürfen wir keine weiteren<br />
Leistungssteigerungen realisieren.<br />
Ist nicht schon Punkt eins illusorisch?<br />
An der Frühverrentung sind doch, aus<br />
unterschiedlichen Gründen, Arbeitgeber<br />
und Gewerkschaften interessiert.<br />
RAFFELHÜSCHEN Diese Praxis lässt<br />
sich nicht fortführen. Wir müssen den<br />
Leuten ganz klar sagen, dass sie bei vorgezogenem<br />
Ruhestand mit höheren<br />
Abschlägen zu rechnen haben. Die gravierendste<br />
Rentenerhöhung besteht ja<br />
darin, dass die heutigen Rentner fünf<br />
Jahre länger leben und zwei Jahre früher<br />
in den Ruhestand gehen. Macht<br />
eine um sieben Jahre längere Rentenbezugsdauer<br />
als vor 40 Jahren.<br />
Bei der Frage, welche Leistungen dauerhaft<br />
finanzierbar sind, spielt die von<br />
ihnen mitentwickelte Generationenbilanzierung<br />
eine wichtige Rolle. Wie<br />
groß ist denn tatsächlich das Loch, das<br />
in den öffentlichen Haushalten klafft?<br />
RAFFELHÜSCHEN Explizite und implizite<br />
Staatsschuld (siehe Kasten rechts)<br />
summieren sich derzeit auf eine Nachhaltigkeitslücke<br />
von 225 Prozent. Wir<br />
haben ausgerechnet, dass ceteris paribus,<br />
also wenn alles weiterläuft wie<br />
bisher, die Gesamtbeiträge in die Sozialversicherungen<br />
von 43 auf 60 Prozent<br />
steigen müssten. Das verdeutlicht:<br />
Wenn wir heute nicht handeln, wird<br />
unseren Kindern eine Last aufgebürdet,<br />
die sie nicht schultern können; sie<br />
werden zur Aufkündigung des Generationenvertrags<br />
geradezu gezwungen.<br />
Ein Vorwurf an die Politik lautet, bislang<br />
würden nur die Symptome der Rentenkrise<br />
kuriert. Wird es schmerzhafte Einschnitte<br />
bei Leistungen geben müssen?<br />
RAFFELHÜSCHEN An das Problem,<br />
die Ausgabenseite besser in den Griff<br />
zu bekommen, haben wir uns bislang<br />
nicht herangetraut. Allein wenn wir<br />
den Mut hätten, die Renten nur an die<br />
Inflation anzupassen und die Rentner<br />
stärker am konjunkturellen Risiko zu<br />
beteiligen, würden wir unser System<br />
schon nachhaltig machen. Wir haben<br />
in Deutschland das höchste Rentenniveau<br />
und das niedrigste Rentenzugangsalter<br />
der Welt. Selbst nach einer<br />
Reform wären wir immer noch Spitze.<br />
Stichwort Vergreisung – wer soll künftig<br />
eigentlich die Rente bezahlen?<br />
RAFFELHÜSCHEN Das ist das Grundproblem:<br />
Wir haben die Familien allein<br />
gelassen, und jetzt bekommen wir die<br />
Quittung dafür, dass es zu wenig Kinder<br />
gibt. Kinderlosigkeit heißt jedoch,<br />
dass man mehr anders machen muss.<br />
Der Faktor Arbeit verliert, der Faktor<br />
Kapital gewinnt an Bedeutung. Die<br />
geburtenstarken Jahrgänge müssen<br />
sich auf einen anderen Mix von gesetzlicher<br />
Rentenversicherung und privater<br />
Altersvorsorge einstellen.<br />
Unter Finanzwissenschaftlern kursiert<br />
das Bonmot „Nach der Reform ist vor<br />
der Reform“. Wird die Arbeit der Sozialkommission<br />
wieder nur Flickwerk?<br />
RAFFELHÜSCHEN Wir träumen in<br />
Deutschland immer davon, eine richtige,<br />
nachhaltige Reform zu machen, und<br />
dann ist das Thema erledigt. So wird’s<br />
nicht sein: In den nächsten zwei bis<br />
vier Legislaturperioden haben wir<br />
immer wieder an den Stellschrauben<br />
zu drehen, die es überall im System<br />
gibt. Aber wir müssen heute schon<br />
behutsam damit beginnen, damit sich<br />
die Menschen auf das einstellen können,<br />
was ohnehin auf sie zukommt:<br />
länger arbeiten, und das für wahrscheinlich<br />
weniger Rente.<br />
Bernd Raffelhüschen ist Direktor des Instituts<br />
für Finanzwissenschaft an der Albert-<br />
Ludwigs-Universität Freiburg und Professor<br />
für Volkswirtschaftslehre an der norwegischen<br />
Universität Bergen. Kurz nach dem<br />
Interview nahm er seine Arbeit als Mitglied<br />
der Berliner Sozialkommission auf.<br />
94 Two 2003