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Kalter Sinn. Der medienarchäologische Blick, das ...

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sondern der spezifisch griechischen Assoziation von Wissen undSehen. 29<strong>Der</strong> spätantike Kirchenvater Augustin lehnt die Vivisektionebenso wie die Leichensektion ab und verlagerte die Erkenntnisauf die Ebene der Symptome. Das Mittelalter zeichnet den Mannnoch mit 10, die Frau mit 11 Rippen: Die Bibel als Autoritätsteht über der Autopsie, gerahmt von Text. Erst in derRenaissance wird die Natur selbst (Körper, Physis) zurBerufungsinstanz des Wissens (Versalius, Leonardo). Um jedochzu erklären, weshalb in der Neuzeit der ärztliche <strong>Blick</strong>erkaltet und zunehmend positivistisch wird, lohnt in der Tatder medienarchäologische Einsatz: die Frage, inwieweit hiernicht optische Medien mit im Spiel waren - bis zu dem Punkt,wo solche optischen Medien nicht mehr schlicht Prothesen,Ergänzungen, Bewaffnungen des Auges sind (Mikro- und Teleksop,Linsen und Brillen), sondern den menschlichen <strong>Blick</strong> selbstersetzen (die Filmprojektion). Antike Ärzte verfügten überkeine anderen Instrumente als ihre eigenen <strong>Sinn</strong>e; zwischenMultisensualität und technischen Medien liegt die ganzeDifferenz einer Welt.Die Erkaltung des <strong>Blick</strong>s ist dabei nicht auf die Emergenzoptischer Medien reduzierbar, sondern ebenso eine Funktion vonSchrift und Zahl. <strong>Der</strong> klinische <strong>Blick</strong>, der mit demwissenschaftlichen <strong>Blick</strong> selbst koinzidiert, indem erAnomalien entdeckt, sie mit vertrauten Daten abgleicht, unddies im Name der Institution des Klinik vollzieht, begnügtsich nicht mehr mit der reinen Feststellung, der sinnfälligenRegistrierung des unmittelbar Sichtbaren, sondern er wird „einkalkulierender <strong>Blick</strong>“ . Noch aberkalkuliert hier der Mensch; in bildgebenden Verfahren werdenBilder vom Rechner aus Daten kalkuliert.Galileo Galilei will zum Zweck der Entzifferung des Buches derNatur schon ihre mathematischen Zeichen erkennen. Ganz in derTradition der „kalten Philologie“, im <strong>Sinn</strong>e derformalistischen, statistischen Lektüren von Literatur (A. A.Markov), werden heute die Texte des Lebens im genetischen Codeentziffert - als Kodierung jenseits von vokalalphabetischenTexten, vielmehr von Texten, die in „Alphabeten“ geschriebensind, welche nicht mehr an den menschlichen Körper, nämlichals Symbolisierung seiner Stimme, gebunden sind. An die Stelledes klassischen medizinischen <strong>Blick</strong>s, dessen GenealogieFoucault beschrieben hat, rückt damit die Notwendigkeit einerMedienarchäologie dieser unsinnlichen, datengestütztenWahrnehmung.Gottfried Wilhelm Leibniz´ <strong>Blick</strong> auf die Welt schwanktezwischen ihrem mathematischen und ihrem opto-ikonischenBegriff als augmented reality. Leibniz ließ sich begeisternvon Brillen mit facettierten Gläsern, welche den <strong>Blick</strong>multipizieren; von dieser konkreten Sehapparatur her versteht29Siehe Hippokrates, De Arte, 12.1f, über die Funktion der Augen

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