und der Penetrationskonflikt der Zentralperspektive" 139 . Läßtsich damit auch der Mathematik ein pornographischer <strong>Blick</strong>unterstellen, und die sublimierende Eskamotierung desskopischen <strong>Blick</strong>s durch den Fluchtpunkt? Mit Lacan gesprochensind es Nicht-Zahlen wie die Null, die erst jenes Imaginärefreisetzen, auf dem <strong>das</strong> Pornographische operiert, alsDurchdringung des Bildraums, als Skopisierung des Begehrens.Gewiß, <strong>das</strong> Sub-Jekt wird durch Perspektive positioniert. 140 Dochdie Grenzen der Veranschaulichung können alltagssprachlichnicht mehr ausgedrückt werden, sondern präzise nur nochmathematisch.Von Zeuxis über Brunelleschi bis Bach blieben Wahrnehmungen, die ein Anderer manipulierte, <strong>das</strong> Vorrecht vonKünsten. [...] Bei technischen Medien dagegen fällt diese Hilfskonstruktion dahin. Den perspektivisch verkürztenWeltausschnitt, wie er auf einer Photographie erscheint, hat kein Künstler aus ästhetischer Freiheit entworfen; eswar vielmehr (wie der Photographieerfinder Henry Fox Talbot einst so schön formulierte) ein Bleistift der Naturselber am Werk. 141Den kalten, medienarchäologisch aktiven <strong>Blick</strong> beschreibtWalter Benjamin lange vor Jacques Lacan: "Was an derDaguerrotypie als <strong>das</strong> Unmenschliche, man könnte sagen Tödlichemußte empfunden werden, war <strong>das</strong> (übrigens anhaltende)Hereinblicken in den Apparat, da doch der Apparat <strong>das</strong> Bild desMenschen aufnimmt, ohne ihm dessen <strong>Blick</strong> zurückzugeben." 142 Abergilt <strong>das</strong> nicht schon für Malerei? Vorbild für Gustave CourbetsL`origine du monde waren möglicherweise pornographische Bilderaus dem Stereoskop. Damit aber ist nicht der perspektivische,sondern ein virtueller Raum eröffnet, der erst im Apparatzustandekommt - was jedes nachträgliche Ölgemälde geradezukamoufliert. 143 Denn es gibt inzwischen Formen der Wahrnehmung,die nicht mehr menschlich sind, sondern aisthesis medialis.Rück-<strong>Blick</strong>e: Sehstrahlen, Rilke, LacanVor Alberti und Brunelleschi, vor der Perspektive warenvisuelle Wahrnehmung und <strong>Blick</strong> anders kodiert. Laut Lukrez´ <strong>Der</strong>erum natura „lösen Gestalten sich, hauchzarte Bilder“ von derOberfläche der Dinge, „der Hülle, der Schale, Borke wie Haut“.Lukrez zufolge schwirren diese Bilder, vom menschlichen Augezumeist unbemerkt, umher. 144Die Antike entwickelte eine artifizielle Perspektive, abernicht nach Maßgabe einer mathematisch geometrisiertenDarstellung. Die Sehstrahltheorie führte zur Blindheit139Vortrag von Linda Hentschel am 13./14. Dezember 2002, Kolloquium "Gewaltzuschreibungen"(Graduiertenkolleg Kodierung von Gewalt im medialen Wandel an der HumboldtUniversität zu Berlin)140Jonathan Crary, Techniques of the Observer, xxx141Friedrich Kittler, Phänomenologie versus Medienwissenschaft, xxx142Walter Benjamin, Über einige Motive bei Baudelaire, in: Gesammelte Schriften, Bd. I.2, 646143Kaja Silverman, Threshold of the Beholder, xxx144Zum „einleuchtenden Bild“ (eidolon enargés) siehe Franz 1999: 206
gegenüber solchen Evidenzen. 145 Die bis weit ins Mittelalterhineinwirkende Sehstrahl-Theorie des <strong>Blick</strong>s (hier ganztautologisch: theoría und <strong>Blick</strong>) repräsentiert denanthropologischen, körper-zentrierten <strong>Blick</strong> auf den <strong>Blick</strong>:seine geradezu taktile Qualität, seine Materialität, die sichin Reflexionen über <strong>das</strong> Zeitintervall der vom <strong>Blick</strong> (etwa aufSterne) zurückzulegenden Strecke manifestiert. 146 Das Modell der„non-verbalen Kommunikation“ rechnet diesen <strong>Blick</strong> unter diemotorischen Kanäle (<strong>Blick</strong>kontakte) - ein genuin medialerBegriff des Seh-Akts. Und so obsolet ist dieser Ansatz nicht:in Technologien des eye-tracking kehrt er heute zurück, in derdurch Philipp von Hilgers und Axel Roch entwickelten MindReading Machine. 147Euklid und Galen formulieren eine Sendetheorie des Sehens,„nach welcher Strahlen vom Auge ausgehen, die <strong>das</strong> zwischenAuge und sichtbarem Gegenstand liegende Medium umwandeln, undnach welcher dieses Medium dann die Seheindrücke zum Augebringt“ .Dem gegenüber steht die Empfangstheorie von zusammenhängendenBildern oder Formen. Doch erst der um 965 in Basra geborenearabische Naturforscher Abu ´Ali al-Hasan ibn al-Hasan ibn al-Haitan, genannt in Europa Alhazen, nutzt „die punktweiseAuflösung eines sichtbaren Gegenstandes als Grundlage für eineEmpfindungstheorie“ 148 - eine Rasterung, welche eineeineindeutige Beziehung zwischen Auge und Objekt herstellt. 149Dies führt unmittelbar zu Keplers Theorie des Netzhautbildes.Von Kepler wird <strong>das</strong> Auge "als ein passives, totes `Instrument´zur mechanischen Erzeugung von Bildern verobjektiviert", somit"<strong>das</strong> Sehen entanthropomorphisiert und von den übrigen<strong>Sinn</strong>esorganen" abgesondert 150 .„Das Sehen folgt einem Modus, den man allgemein mitBildfunktion bezeichnen könnte. diese Funktion ist definierbardurch zwei Einheiten im Raum, die sich Punkt für Punktentsprechen“ - Albrecht Dürers Gitter in derAnweysung. „Dabei ist es gleichgültig, über welche optischenVermittlungen die Beziehung läuft, und es ist gleichgültig, obein Bild virtuell oder real ist, wesentlich ist die Punkt-für-Punkt-Entsprechung“ - eine Diskretisierung also, die145Gérard Simon, <strong>Der</strong> <strong>Blick</strong>, <strong>das</strong> Sehen und die Erscheinung in der antiken Optik [*Le regard, Paris 1988], aus d.Frz. v. Heinz Jatho, München (Fink) 1992, 240ff146Dazu Christof L. Diedrichs, Slow motion. Bewegung im mittelalterllichen Kirchenraum“, Vortrag auf demKolloquium Kunst der Bewegung, Berlin, 14.-16. November 2002147xxx148David C. Lindberg, Auge und Licht im Mittelalter. Die Entwicklung der Optik von Alkindi bis Kepler,Frankfurt/M. 1987, 117149Siehe die Ausgabe Friedrich Risners von Alhazens De aspectibus, Basel 1572150Ulrike Hick, Die Optische Apparatur als Wirklichkeitsgarant. Beitrag zur Geschichte der medialenWahrnehmung, in: montage/av. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, 3/1/1994,88
- Seite 1 und 2:
KALTER SINN. DER MEDIENARCHÄOLOGIS
- Seite 4 und 5: Medienarchäologie den Test von Med
- Seite 6 und 7: Auge reproduzieren, sondern die sub
- Seite 8 und 9: Foucault fragt, "in welchen Formen,
- Seite 10 und 11: Nur die Methode selbst in sachliche
- Seite 12 und 13: Die endliche Menge alphabetischer Z
- Seite 14 und 15: er den un-menschlichen Blick hat. H
- Seite 16 und 17: sich seine Erkenntnismetapher von d
- Seite 18 und 19: not have any type of similarity wit
- Seite 20 und 21: unmißverständlich: Cybernetics or
- Seite 22 und 23: Bezug zum Objekt verweigert, im Geg
- Seite 24 und 25: Genozids vor allem aus der Perspekt
- Seite 26 und 27: wird, um Unerwartetes signaltechnis
- Seite 28 und 29: Alte Holzschnitte wie moderne Comic
- Seite 30 und 31: zugleich auf das gewöhnliche und n
- Seite 32 und 33: ecourent volontiers au regard de l
- Seite 34 und 35: unersättlich. Beschrieben wird hie
- Seite 36 und 37: logophil) entzogen. Steuermedium di
- Seite 38 und 39: Verbale Markierungen werden in herm
- Seite 40 und 41: gesellschaftlichen Zustandes den ga
- Seite 42 und 43: Moment der Dämmerung: „Wenn für
- Seite 44 und 45: mit der kléa andrón ein, „von M
- Seite 46 und 47: erst mit Techniken wie Leon Battist
- Seite 48 und 49: Giesecke die frohe Botschaft einer
- Seite 50 und 51: Informationseinheit (bit). Im typog
- Seite 52 und 53: Erste Bilder aus (geometrischen) Da
- Seite 56 und 57: Essens der elektronischen Bildabtas
- Seite 58 und 59: jeder illustrierten Zeitung zu find
- Seite 60 und 61: Dehnung der Zeit, das Intervall. De
- Seite 62 und 63: Besorgnis schreibt sich dieser Blic
- Seite 64 und 65: edeutendes Ereignis, das nicht auch
- Seite 66 und 67: aristotelsichen Mediendefinition hi
- Seite 68 und 69: Film / Kino-AugeDer medienarchäolo
- Seite 70 und 71: Ich bin Kinoglaz. Ich bin ein mecha
- Seite 72 und 73: Andersons Resident Evil (USA/GB/D 2
- Seite 74 und 75: Ernst Jüngers Begriff vom „zweit
- Seite 76 und 77: Perseus trotzt in der griechischen
- Seite 78 und 79: Eher im analytisch-messenden denn i
- Seite 80 und 81: Medien der Universität: Sprache, T
- Seite 82 und 83: Kommen wir zurück auf jenen Wahrne
- Seite 84 und 85: Was uns hier vorgeführt wird, ist
- Seite 86 und 87: nichts als den Informationswert (de
- Seite 88 und 89: Lange, langsame Einstellungen sind
- Seite 90 und 91: Mittelalter die tatsächlich gespie