gesellschaftlichen Zustandes den ganzen verwandten Kreisderselben darstellen können.“ 96 Muß er <strong>das</strong> wirklich?Die Medialität des Archivs liegt in seiner konkretentechnischen Materialität – jene Apparaturen derDatenspeicherung (Papier, Film, Computer), die als konkreteTräger der Signale ihren kulturellen Dekodierern zumeistkonstitutiv verborgen bleiben: „<strong>Der</strong> Archivträger ist dem <strong>Blick</strong>des Betrachters konstitutiv entzogen“ .Zugleich ist ein irreduzibles Element mit im Spiel und amWerk des Archivs als Gedächtnisort; die Steuerzeichen gehörennicht zum Inhalt des Archivs, sondern zu seiner radikalgegenwärtigen Administration und sind mithin Archiv im <strong>Sinn</strong>evon Foucault – nämlich ein Dispositiv, von Groys treffend alssubmedialer Trägerraum definiert. Dieser Raum ist immer schon<strong>das</strong> Objekt eines paranoiden Verdachts von Manipulation,Verschwörung und Intrige. Erst der paranoide <strong>Blick</strong> aber gibtzu sehen.Archive sind Orte der Verführung, wenn ihre Textkorridore <strong>das</strong>Schweigen vergessen machen und Phantasien wiedergefundenerErinnerung evozieren, denen ein distanter <strong>Blick</strong> nur mühsamstandhält. Was also, wenn archivische Halluzinationen sichnicht einstellen? Nichts anderes bilden die Atome des Archivs:Buchstaben, kalkulierbar, aber diskret. So, wie <strong>das</strong> ArchivZusammenhänge nur logistisch, nicht aber hermeneutischdarstellt und dafür der literarisch-historiographischenUmformung bedarf, herrscht auch auf der mikro-archivischenEbene der Textbuchstaben in den Zwischenräumen, denIntervallen zwischen den Lettern auf dem Papier, keineKontinuität, sondern eine leere, weiße Fläche. Genau <strong>das</strong> giltradikaler noch im digitalen Raum, der alle analogen Flächen indiskrete Punkte auflöst; dazwischen ist nichts. Und so stehenMedienanalysen auf Seiten des archivischen <strong>Blick</strong>s, denn siearbeiten unter der Voraussetzung, daß jede Aussage den Randgegenüber einer ungeheuren Leere, einem riesigen Feld desUngesagten bildet.Literatur kalkulierenIm Film D´ailleurs <strong>Der</strong>rida (Frankreich 2000; Regie: SafaaFathy) sagt der Philosoph: „l´écriture calcule“. Es war diesderselbe Philosoph, der über den Computer einmal äußerte: „Lamachine ne calcule rien pour moi.“ Schrift aber kalkulierterst, seitdem sie diskretisiert wurde bis auf jeden einzelnenBuchstaben. Läßt sich sagen, daß die diskreteBuchstabenschrift tatsächlich bereits eine Form vonMathematik, von Kalkül darstellt? Oder erst im <strong>Sinn</strong>e von André96Friedrich Ludwig Baron von Medem, Über die Stellung und Bedeutung der Archive im Staate, in: Jahrbücherder Geschichte und Staatskunst, hg. v. Karl Heinrich Ludiwg Pölitz, Bd. II, Leipzig 1830, 28-49 (31)
Leroi-Gourhan: „Aus Symbolen mit dehnbaren Implikationenwurden Zeichen, wirkliche Werkzeuge im Dienste einesGedächtnisses, in <strong>das</strong> die Strenge des Rechners Eingang fand“ 97- aber erst mit der Hollerith-Maschine. Oder ist es schon derAkt des Lesens? „Francis Bacon kondensiert in einer berühmtenStelle seines Novum Organum, wo <strong>das</strong> Unendliche abgeschnittenzu werden verspricht, die Augenbewgung des Lesens beinaheschon in einen Algorithmus. Aber eben nur beinahe“ 98 ;demgegenüber gelten nämlich die mathematischen Zeichen inGalileis Buch der Natur.Poesie-Generierungsmaschinen: Das OPAJAS in der Sowjetunion(die Gesellschaft zum Studium der poetischen Sprache) bildetedie Formale Schule. Darunter verweist Andrej Bely in seinemAufsatz „Die Lyrik und <strong>das</strong> Experiment“ (1909) auf dieNotwendigkeit der Einführung exakter Methoden in die Ästhetik,und den Primat der „Algebra“ vor der „Harmonie“. 99 EineBroschüre von N. Setnizki identifiziert Statistik, Literaturund Poesie. Solche Autoren machen „die Zahl zum wichtigstenInstrument bei der Erforschung der Geestzmäßigkeitendesknstlerischen Schaffens“ ; damit ist „dieStatistik ein Weg , <strong>das</strong> Element des Wortes aufzudecken“. S. Lukjanow zählt zusammen, ver-sammltalso (legein, aber numerisch), wie viele Silben, wie vieleKonsonanten und Vokale in Golenistschew-Kutusows Gedicht <strong>Der</strong>Todesengel enthalten sind. „Stilmetrische“ Experimente vonMorosow haben den Zweck, Plagiate von Originalen unterscheidenzu lernen; im Bund damit stehen Verfahren zur Ableitung eines„Individualitätskoeffizienten“ des Autors . Schon zuvorwar A. A. Markov mit einer Notiz über die Anwendungstatistischer Methoden hervoretreten; er kommentiert späterdie Arbeiten Morosows in diesem seinem ästhetischstatistischen<strong>Sinn</strong> (1916).Die Materialästhetik geht davon aus, daß dem Künstler inWirklichkeit nur <strong>das</strong> Material eignet: "der physikalischmathematischeRaum, die Masse, der Ton der Akustik bzw. <strong>das</strong>Wort der Linguistik“. 100 Für Nietzsche waren nicht <strong>das</strong> Wort,sondern der Ton, die Tonstärke, die Modulation und <strong>das</strong> Tempo,also die Musik hinter den Worten, <strong>das</strong> kommunikativWesentliche. 101 Puschkins Gedicht Erinnerung beginnt mit dem97André Leroi-Gourhan, Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst, Frankfurt/M.(Suhrkamp) 3. Auf. 1984, 25398Unter Bezug auf Francis Bacon, Novum organum, hg. v. W. Krohn, Hamburg 1974, 395: Gerhard Scharbert,Dichterwahn. Über die Pathologisierung von Modernität, Exposé 99Dazu J. J. Barabasch, Algebra und Harmonie, in: „Kontext“. Sowjetische Beiträge zur Methodendiskussion inder Literaturwissenschaft, hg. v. Rosemarie Lenzer / Pjotr Palijewski, Berlin (Akademie) 1977, 15-94 (21)100Kritisch paraphrasiert in: M. M. Bachtin, Zur Ästhetik des Wortes, in: „Kontext“. Sowjetische Beiträge zurMethodendiskussion in der Literaturwissenschaft, hg. v. Rosemarie Lenzer / Pjotr Palijewski, Berlin (Akademie)1977, 138159 (139)101Harro Zimmermann (Rez.), Partitur des vielstimmigen Lebensorchesters, über: Reinhart Meyer-Kalkus,Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, Berlin (Akademie) 2001, in: Zeitliteratur (Sonderbeilage von DieZeit) Nr. 25, 57. Jg., Juni 2002, 18
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Mittelalter die tatsächlich gespie