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Kalter Sinn. Der medienarchäologische Blick, das ...

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installiert Winckelmann genau in jener Zeit, als sich dieMedizin vom metaphysischen Ballast löst und denpositivistischen <strong>Blick</strong> erprobt , eineästhetische Interpretation: <strong>Der</strong> Bildhauer der Statue des Apoll"hat dieses Werk gänzlich auf <strong>das</strong> Ideal gebaut, und er hat nurebenso viel von der Materie dazu genommen, als nötig war,seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen.“ 82 Materiebildet also nur den Rand gegenüber einer ungeheuren Idealität,wie es die neoklassizistische Bildreproduktionstechnik derUmrißzeichnung, des outline engraving, geradezuidealtypographisch realisierte und aus der Geometrie nichtminder vertraut ist, welche der Linien als „ein reinsinnliches Hülfsmittel“ (G. W. Leibniz) bedarf. 83 „In spite ofWinckelmann´s remarks about engravings and the necessity ofknowing the originals, the aesthetic doctrine of his Historyof Ancient Art of 1764 may be regarded as the rationalizationof a set of values based on the catch of the engraver´s net“. Winckelmanns (An-)<strong>Blick</strong> ist praktizierteDekonstruktion. <strong>Der</strong>selbe Winckelmann, der auf Autopsie derOriginale insistiert, rühmt an Abgüssen gegenüber dem Original<strong>das</strong> Gips-Weiß, weil es den Charakter der reinen Formakzentuiert - (v)idealistische Einsicht als blindness. 84Winckelmanns Statuenbeschreibungen waren vor allem auch Projektionen von Schrift. Die Einbildungskrafterzeugte einen <strong>Blick</strong>, der die Lektüre von Texten auf die weiße Oberfläche des Steins projiziert. DasHalluzinieren der Antike war ein Modus der Textverarbeitung. 85Demgegenüber nimmt der Kunsthistoriker John Ruskin im <strong>Blick</strong>auf Gemälde eine Position ein, die radikal auf die Oberflächevon Gebilden schaut: „We see nothing but flat colours.“ 86Optische Artefakte lassen sich also durchaus aus derhermeneutischen Vertrautheit (der Transkription) in einearchäologische Wahrnehmungsdistanz bringen. Bilder erhaltenqua Einscannen einen a priori „archäologischen“ Status.Vielleicht vermag ja allein der scan-aisthetische,(sc)anästhetische <strong>Blick</strong> ganz im <strong>Sinn</strong>e der gleichnamigenkunstrestauratorischen und kulturkonservatorischen Disziplinradikal archäometrisch die Oberfläche zu sehen.Die museale Antike(n)rezeption bis ins 19. Jahrhundert aberblieb vertextet und damit dem Primat des photographischen odergar materialen <strong>Blick</strong>s zunächst philologisch (oder besser82Ebd., hier zitiert nach der Ausgabe Wien 1934, unveränd. reprograf. Nachdr. Darmstadt (Wiss. Buchges.) 1982,364; vgl. auch 149: „Dieser Begriff der Schönheit ist wie ein aus der Materie durchs Feuer gezogener Geist.“83Leibniz in seinem Brief an Galloys 1677, zitiert in: Dialog über die Verknüpfung zwischen Dingen und Worten,in: Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, hg. v. Ernst Cassirer, Bd. I, Leipzig (Meiner) 1904, Nr. I,18, Anm. 284Dazu Anita Rieche, 200 Jahre Archäologie und „Neue Medien“, in: dies. / Beate Schneider (Hg.), Archäologievirtuell: Projekte, Entwicklungen, Tendenzen seit 1995, Bonn (Habelt) 2002, 90-94 (92)85Peter Geimer, Post-Scriptum. Zur Reduktion von Daten in Winckelmanns Geschichte der Kunst desAlterthums, in: Inge Baxmann / Michael Franz / Wolfgang Schäffner (Hg.), Das Laokoon-Paradigma, Berlin(Akademie) 2000, 64-88 (84)86Ruskin, John: „The Elements of Drawing“ (1857). In: ders.: The Works, hg. v. E. T. Cook / A. Wedderburn, Bd.15, London 1904, S. 27.

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