Dehnung der Zeit, <strong>das</strong> Intervall. <strong>Der</strong> photographischeSchnappschuß aber ist <strong>das</strong> Gegenteil von Lessingsmediensemiotischen Maximen, der für <strong>das</strong> Bildliche verlangt,nie den Moment selbst zu zeigen, <strong>das</strong> Häßliche - den Moment derGuillotinierung etwa (Iris Därmann).Karl Heinz Bohrer entdeckt in Jüngers Beschreibung destechnischen Wahrnehmungs-Instruments Photographie alsErsetzung der subjektiven Empfindung durch eine„Vergegenständlichung unseres Weltbildes“ einPendant zu Walter Benjamins Aufsatz über Das Kunstwerk imZeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit: den Aura-Verlust.Jünger, der selbst nicht photographiert (aber mitphotographisch kaltem <strong>Blick</strong> Insekten und Hirschkäfer aufspießtin seiner Sammlung), trennt <strong>das</strong> „zweite Bewußtsein“, denemphatischen modernen kalten, weltkriegserprobten <strong>Blick</strong> desTypus´ seiner neuen Zeit vom empathischen <strong>Blick</strong> (Meyer-Kalkus). Jünger beschreibt Photographie als „Ausdruck der unseigentümlichen, und zwar einer sehr grausamen Weise zu sehen“. „Dieses zweiteund kältere Bewußtsein deutet sich an in der sich immerschärfer entwickelnden Fähigkeit, sich selbst als Objekt zusehen“ , analog zu Kants und FoucaultsDeutung des neuzeitlichen Menschen als empirisch-transzendenteDoublette.Johann Wilhelm Ritters bio-physiologischen Selbstversuche um1800 hatten diese Ästhetik praktiziert; Ritter wurde zum„Menschmedium“, indem er seine Augen bis zu 20 Minuten demgrellen Sonnenlicht direkt aussetzte und dabei die Lider durcheine künstliche Vorrichtung gewaltsam offen hielt, umFarbreaktionen des Sehsinns zu testen 164 - Ästhetik desSchreckens.Jüngers 1934er Essay Über den Schmerz beschreibt eine nochkältere Ordnung: "Es ist dies die technische Ordnung selbst,jener große Spiegel, in dem die wachsende Vergegenständlichungunseres Lebens am deutlichsten erscheint, und die gegen denZugriff des Schmerzes in besonderer Weise abgedichtet ist. DieTechnik ist unsere Uniform.“ 165 Jünger visioniert hier dieMensch-Maschine-Kopplung, denkt diese jedoch noch primär vonder Maschine her, nicht vom „rechnenden Raum“ (Konrad Zuse).Dieser aber ist implizit schon angelegt in der Kriegsmaschine:„Ein Vorgang wie etwa die Belagerung von Jerusalem unter Titusbirgt in sich ein hohes Maß an Mathematik“ .164Dazu Siegfried Zielinski, Archäologie der Medien. Zur Tiefenzeit des technischen Hörens und Sehens,Reinbek b. Hamburg (Rowohlt) 2002, 223165Ernst Jünger, Über den Schmerz, in: ders., Blätter und Steine [*Hamburg 1934], 2. Auflage Hamburg(Hanseat. Verlagsanstalt) 1941, 157-216 (194)
„Das `Pathos der Distanz´ ist nicht ein Kennzeichen der Macht,sondern des Willens zur Macht“ . HelmuthPlessner beschreibt in Grenzen der Gemeinschaft 1924 denBegriff der Gesellschaft als die „kalte Form“ derGeselligkeit. Damit korreliert der eher technische Begriff derZivilisation im Unterschied zum Wertbegriff Kultur. Zum Einenist es der statistische <strong>Blick</strong>, der zunehmend sozialenBeziehungen reguliert - ein mithin apparativer Begriff desSozialen. Damit korrespondiert der kalte <strong>Blick</strong> deranalytischen Soziologie selbst, beerbt von den TelevisonäreMedien, die <strong>das</strong> Pathos der Distanz technisch realisieren.Aus der (kollektiv subjektiven) Erfahrung einer technisiertenGesellschaft - insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg -resultierte ein ideologisch (und im Nationalsozialismus aufdie Spitze getriebener) aufgeladener Gegenbegriff derGemeinschaft:Maßlose Erkaltung der menschlichen Beziehungen durch maschinelle, geschäftliche, politische Abstraktionenbedingt maßlosen Gegenwurf im ideal einer glühenden, in allen ihren Trägern überquellenden Gemeinschaft. <strong>Der</strong>Rechenhaftigkeit entspricht im Gegenbild die Seligkeit besinnungslosen Sichverschenkens. Mit der gesinnungsmäßigen Preisgabe eines Rechts auf Distanz zwischen Menschen im Idealgemeinschaftlichen Aufgehens in übergreifender organischer Bindung ist der Mensch selbst bedroht. 166Distanz ist damit eine Sozialtechnik, im Verbund mit demkalten <strong>Blick</strong> selbst: „die Weite des Abstandes, den eine Personkraft ihrer repräsentativen Stellung beansprucht und erzwingt,hebt ihre Sichtbarkeit, d. h. mehrt ihr Ansehen“; Plessnerschreibt von Nimbus , analog zu Walter BenjaminsBegriff der Aura. So kommt es zur paradoxen Figur „einenMenschen gleichzeitig maximal sichtbar zu machen und zuverhüllen“ . Distanzrituale wie <strong>das</strong> Zeremoniell oderdie kirchliche Liturgie praktizieren maskierten Ausdruck inder Zone der Öffentlichkeit: „In ihr verschonen sich dieMenschen um ihrer Würde willen durch Spielregeln voneinander“(Prestige, Diplomatie). 167 Plessner sieht die Rituale derMaskierung als sozialen Sicherungsfaktor; die WeimarerRepublik kennt den gepanzerten Charakter. Jünger hält <strong>das</strong>„neue Gesicht“, wie es ihm in den Illustriertenentgegenschaut, für „seelenlos, wie aus Metall“ 168 . Und im Bunddamit Carl Schmitts Leviathan: „Vor solchen technischvollkommenen Armaturen versagt die Frage nach Recht undUnrecht“ . Das klassische Augedes Gesetzes wird indifferent. Spengler, Freyer, Dessauer undSchmitt definieren solche Effekte der Technik positiv, imUnterschied zur „Negativität der Jüngerschen Diagnostik“; unter umgekehrten ethischen Vorzeichen der166Helmuth Plessner, Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus [*1924], in: ders.,Gesammelte Schriften, hg. v. Günter Dux u. a., Frankfurt/M. (Suhrkamp), Bd. 5: Macht und menschliche Natur,1981, 7-134 (28)167Zitiert nach: Christian Geyer, Die Hygiene des Taktes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 66 v. 19. März2002, L 20168BluStu 207, zitiert nach: Bohrer 1978: 463
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