Kommen wir zurück auf jenen Wahrnehmungsmodus des Films, derso etwas wie einen genuinen medienarchäologischen (aktiv)<strong>Blick</strong> darstellt. Hat <strong>das</strong> griechische Vokalalphabet, wieeingangs erwähnt, die Dynamik des menschliches Stimmflussesmedial aufschreibbar gemacht, so macht Film die menschlicheKinetik, die Bewegung medial registrierbar - ein Alphabet aus( ausgerechnet wiederum!) 24 Elementen - nicht im Raum,sondern - wie die Serie des Alphabets - in der Zeit.Dieser mediale Wahrnehmungsmodus von Bewegung - alsobuchstäblich Kinematographie - ist auf einem Feld eintrainiertworden, <strong>das</strong> nicht einmal primär optisch ist: Samuel ColtsRevolvermechanik. Die Auswechselbarkeit seiner Bestandteile,also Standardisiierung war die entscheidende Prägung für diespätere industrielle Massenproduktion von Film (so <strong>das</strong>Argument von Friedrich Kittler, in Optische Medien). SolcheLinien schreiben eine Mediengeschichte vor, die sich auf <strong>das</strong>,was sich durchsetzt, konzentriert, vielmehr denn auf ihreAbweichungen und Sackgassen, die für Poesie und Imagination,nicht aber Analysen zur Lage dienen (hier also inausdrücklicher Differenz zu Siegfried Zielinskis Begriff vonMedienarchäologie).Selbstauslösende Maschinen dienten schon Muybridges chronophotographischerApparatur zur Aufnahme des Pferdegallops.1881 aber hört der deutsche Physiker Ernst Mach in Paris denVortrag des belgischen Ballistikers Melsen, der vermutet, daßein Geschoß im Flug eine Masse verdichteter Luft vor sichherschiebt. Zur empirischen Bestätigung sucht Mach mit seinemAssistenten Peter Salcher nach einer Visualisierung mitfolgender Versuchtsanordnung: Eine abgeschossene Gewehrkugellöst den Funken aus einer Batterie selbst aus, indem sie zweimit Glasröhrchen bedeckte Drähte passeirt und dabei <strong>das</strong> Glaszerstört. <strong>Der</strong> Funke springt gleichzeitig hinter der Kugel überund idnest so zur extrem kuzrzen Beleuchtung des Vorgangs.Später wird die visuelle Störung der Drähte vermieden, indemder Luftdruck der Kugel selbst den Beleuchtungsfunken auslöst,so daß ein Verschlußmechanismus der Kamera überflüssig wird.Luftmassen werden durch die sog. Schlierenmethode sichtbargemacht, 1864 von August Toepler entwickelt, um “abweichendeDichtenverhältnisse in Teilen des umgebenden Mediums” sichtbarzu machen. 209209Schriftlichen Hausarbeit unter Prüfungsbedingungen von Frau Meike Drießen: Die Aneignung neuerBildmedien durch die Kunst am Beispiel von Marey, Muybridge, Duchenne de Boulogne und Mach (zum
Luft erweist sich gerade in ihrem Widerstand als ein Medium -ein Zug, dem der Äther-Diskurs, den Aristoteles medialinstalliert und Descartes wiederaufgreift,hinterherargumentiert.Etienne-Jules Marey zielte in der Fortentwicklung (oder demBruch) seiner méthode graphique zur méthode photo-graphiqueauf „mesures précises de rapports qui échappent à l´observation.“ Ernst Mach fixiert die Bewegung vonSchallwellen, „die für unsere unmittelbare Anschauung zu raschverläuft.“ Medium der Wahrnehmung dessen, was menschlicheWahrnehmungsschwellen unterläuft, ist die Photographie: So„zeichnet die photographische Platte auf, was außerhalb ihrerselbst nicht in Erscheinung tritt.“ 210Hier handelt es sich nicht mehr um eine Abbildung, sondernhier handelt eine originär medientechnische Bildung, eine Ein-Bildung als Techno-Imaginäres im <strong>Sinn</strong>e Vilém Flussers, eineEpiphanie neuer Form.Ähnlich hat der Elektro-Physiologe Duchenne de Boulognebereits in seiner 1862er Publikation Mécanisme de laphysiognomie humaine <strong>das</strong> Phantasma des sich selbstaufzeichnenden Lebens beschrieben:Die örtliche Elektrisierung erlaubt mir, die kleinsten Strahlungen der Muskeln unter dem Instrument sichabzeichnen (se dessiner) zu sehen. Die Kontraktion der Muskeln enthüllt ihre Richtung und Lage besser als es<strong>das</strong> Skalpell des Anatomen je könnte. 211<strong>Der</strong> <strong>Blick</strong> als Subjekt und Objekt: Wir erinnern uns an eineSzene aus dem Video Retrograd von Christoph Keller über diemedizinischen Ausbildungsfilme der Klinik Charité, den Augen-Durchschuß in Zeitlupe.Hauptseminar “Ikonologie der Energie”, Dozent W. E., SS 1999, RuhrUniversität Bochum, Institut für Film undFernsehwissenschaft. Hier unter Bezug auf Wolfgang Baier, Quellendarstellung zur Geschichte der Fotografie,Halle 1964; Ernst Mach, Populärwissenschaftliche Vorlesungen, Leipzig 1923; Christoph Hoffmann, MachWerke. Ernst Mach und Peter Salcher: Photographische Fixerung der durch Projektile in er Luft eingeleitetenVorgänge (1887), in: Fotogeschichte Bd. 60 (1996), 6ff.210Peter Geimer, Exposé zum Workshop The Organization of Visibility. Photography in Science, Technology andArt around 1900, Januar 1999211Ebd., 15. Zitiert u. übers. in: HansChristian von Hermann / Bernhard Siegert, Beseelte Statuen zuckendeLeichen. Medien der Verlebendigung vor und nach Guillaume Benjamin Duchenne, in: 384 [zugleich:Kaleidoskopien Heft 3: Körperinformationen], Institut für Buchkunst Leipzig 2000, 6599 (92)
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