mit der kléa andrón ein, „von Mund zu Mund“ (zu Ohr, nicht zumAuge). Kléos gehört zu klúo, „hören“; zu unterscheiden von aíooder akoúo. Letztere bezeichnen <strong>das</strong> akustische, physiologischeWahrnehmung einer Stimme oder eines Klanges, der ans Ohrdringt, „während kléo stets auf den Inhalt des Gesprochenenzielt“ 106 - analog zum Unteschied zwischen scannen undIkonologie im Reich der Bilder. Entsprechend meint akoé „<strong>das</strong>Gerücht, nicht die Sache“ . Allerdings gleichen sichschon bei Homer beide Bedeutungen einander an (metonymisch imNamen der Muse Klio). Im Proömium zum Schiffskatalog im II.Gesang der Ilias appelliert Homer an die Musen: kléos oionakoúomen, „wir haben nur die akoé“, und dem wird mit párestete íste te panta <strong>das</strong> Wissen der Augenzeugen gegenübergestellt“. Demgegenüber eröffnet Lektüre die Möglichkeit desmedialen Sehens: "Ist <strong>das</strong> Schreiben ein ‘Schildern’, wird <strong>das</strong>Lesen zum ‘Betrachten’" .Tatsächlich aber wiederholt sich in der mikroskopischenLektüre noch einmal die Erfahrung des makroskopischen <strong>Blick</strong>s:die Entfernung. <strong>Der</strong> operative Akt des Lesens prozessiert hierauf medienarchäologischer Ebene <strong>das</strong>, was kognitiv alshistorischer Raum verarbeitet wird: ”However strong theillusory presence of the fiction, as readers we can neverliterally participate in the narrated action; nor on the otherhand, are we vulnerable to the dangers in which it mightinvolve us in reality." 107 Jede Lektüre wird so zum Akt einerunmöglichen Einbildung. Horst Wenzel weist darauf hin: Was dieGriechen fantasia nennen und die Römer visiones,‚repräsentiert‘ die Bilder abwesender Dinge, ”so daß wir siemit den Augen zu erkennen und gegenwärtig zu haben scheinen”(Quintilian VI. 2,29).<strong>Der</strong> kalte <strong>Blick</strong> der mediävistischen Philologie identizifizertfür Texte frühmittelalterlicher Annalistik anonyme „Hände“,keine Autoren. Dieses Genre registriert kontingenteEreignisfolgen als chronologische Listen, nicht Erzählungen:Jede Distanz sei es die eines Tages oder die eines Tagesmarsches von einem Dorf zum anderen fügt dennackten Feststellbarkeiten einen Bedarf an Auslegung hinzu; Mangel an Auslegung manifestiert sich in derniedersten aller Formen, der der Aufzählung. 108Diese Ästhetik kehrt unter verkehrten medientechnischenVorzeichen um 1800 zurück, als sich Kritik an verführerischer,überredender Rhetorik zugunsten einer administrativenStaatsschrift artikuliert. Stimme und Wortpracht des Autorskann der Leser nicht fassen, „und kann seinen Mann so oft undmit kaltem Blut überlesen, daß er ihm hinter die Künste106Tilman Krischer, Mündlichkeit und epischer Sänger im Kontext der Frühgeschichte Griechenlands, in:Kuhlmann / Reichel (Hg.) 1990: 51-64 (57)107A. C. Spearing, The Medieval Poet as Voyeur. Looking and Listening in Medieval Love Narratives.Cambridge (Cambridge U. P.) 1993, 28108Hans Blumenberg, zitiert in: Florian Felix Weyh, Das Jahr Laplace, in: Lettre international, Heft 47 (1999),116-123 (121)
kömmt.“ 109 <strong>Der</strong> Buchdruck, also die Erlösung des Autors von derHandschrift, "läuft auf Entpersönlichung hinaus und damit aufPreisgabe der alten `Rauschtechniken´“ 110 . McLuhan interpretiertdies als wissenschaftsdiskursgenerierende Ausrichtung derWahrnehmung auf einen Kanal:The use of the printing press leads to the development of a prose technique to match the form of the printedword. It was the technique of equitone. It consisted in maintaining a single level of tone and attitude to the readerthroughout the entire composition this discovery brought written discourse into line with the printedword and away from the variety of pitch and tone of the spoken, and of even the handwritten word. 111Genau <strong>das</strong> führt zum wissenschaftlich "objektiven",distanzierten <strong>Blick</strong> auf Objekte - ein Effekt des distanten<strong>Blick</strong>s auf Texte. Waren handgeschriebene Texte im Mittelalternoch transparent hinsichtlich ihres <strong>Sinn</strong>s, wird imtypographischen Zeitalter (geschriebene) Sprache vonimaginären Kommunikationspartner, vom ko-agierenden Subjektzum Objekt. Unter Bezug auf den Jesuitenpater Walter Ongschreibt McLuhan: "The use of printing moved the word from itsoriginal association with sound and treated it more as a`thing´ in space." 112 So wird der Text vom transitiven Mediumzur intransitiven Form.<strong>Der</strong> Buchdruck brachte Intensität und gleichmäßige Präzision dort, wo früher die Konturen unscharf waren. <strong>Der</strong>Druck führt zur Vorliebe für genaues Messen und für Wiederholbarkeit; Eigenschaften, die wir heute noch mitder Naturwissenschaft und Mathematik verbinden. Ein Teil der mittelalterlichen Urkunden und Handschriftenwanderte nach ihrer typographischen Übersetzung zum Recyclingin Werkstätten; mit der Konzentration auf den <strong>Sinn</strong> desÜberlieferten und der Medialisierung der Schrift zum homogenenKanal wurde deren Materialität scheinbar irrelevant (WolfgangStruck). Dem widerspricht die new philology.<strong>Der</strong> dynamisierte <strong>Blick</strong>: Buchdruck und LesegeschwindigkeitWo <strong>das</strong> mediale Dispositiv technischer Standardisierung fehlt,besteht auch kein diskursiver Bedarf nach einem übergreifendenKode oder an einer in allen Teilsystemen geltendenGeneralsemantik . Hier liegt diemedienkulturelle Differenz zwischen Mittelalter und Neuzeit.Weder die lateinische Sprache noch der christlich-theologischeHorizont vermochten Vielheiten zu standardisieren, solange sienicht auch in Hardware implementiert waren. Dies geschieht109Johann Georg Philipp Thiele (1781), An die Jünglinge von der Bildung durch Lektüre, 62, zitiert nach: Göttert2002: 102110Karl-Heinz Göttert, Wider den toten Buchstaben. Zur Problemgeschichte eines Topos, in: Kittler / Macho /Weigel (Hg.) 2002, 102, unter Bezug auf Friedrich Kittler111Marshall McLuhan, Understanding Media, New York 1964, 184. Dazu David R. Olson, McLuhan on literacy:"Bringing language in line with print", in: <strong>Der</strong>rick de Kerckhove / Amilcare A. Iannucci (Hg.), McLuhan e laMetamorfosi dell´uomo, Rom (Bulzoni) 1984, 51-59112Marshall McLuhan, The Gutenberg Galaxy, Toronto 1962, 104
- Seite 1 und 2: KALTER SINN. DER MEDIENARCHÄOLOGIS
- Seite 4 und 5: Medienarchäologie den Test von Med
- Seite 6 und 7: Auge reproduzieren, sondern die sub
- Seite 8 und 9: Foucault fragt, "in welchen Formen,
- Seite 10 und 11: Nur die Methode selbst in sachliche
- Seite 12 und 13: Die endliche Menge alphabetischer Z
- Seite 14 und 15: er den un-menschlichen Blick hat. H
- Seite 16 und 17: sich seine Erkenntnismetapher von d
- Seite 18 und 19: not have any type of similarity wit
- Seite 20 und 21: unmißverständlich: Cybernetics or
- Seite 22 und 23: Bezug zum Objekt verweigert, im Geg
- Seite 24 und 25: Genozids vor allem aus der Perspekt
- Seite 26 und 27: wird, um Unerwartetes signaltechnis
- Seite 28 und 29: Alte Holzschnitte wie moderne Comic
- Seite 30 und 31: zugleich auf das gewöhnliche und n
- Seite 32 und 33: ecourent volontiers au regard de l
- Seite 34 und 35: unersättlich. Beschrieben wird hie
- Seite 36 und 37: logophil) entzogen. Steuermedium di
- Seite 38 und 39: Verbale Markierungen werden in herm
- Seite 40 und 41: gesellschaftlichen Zustandes den ga
- Seite 42 und 43: Moment der Dämmerung: „Wenn für
- Seite 46 und 47: erst mit Techniken wie Leon Battist
- Seite 48 und 49: Giesecke die frohe Botschaft einer
- Seite 50 und 51: Informationseinheit (bit). Im typog
- Seite 52 und 53: Erste Bilder aus (geometrischen) Da
- Seite 54 und 55: und der Penetrationskonflikt der Ze
- Seite 56 und 57: Essens der elektronischen Bildabtas
- Seite 58 und 59: jeder illustrierten Zeitung zu find
- Seite 60 und 61: Dehnung der Zeit, das Intervall. De
- Seite 62 und 63: Besorgnis schreibt sich dieser Blic
- Seite 64 und 65: edeutendes Ereignis, das nicht auch
- Seite 66 und 67: aristotelsichen Mediendefinition hi
- Seite 68 und 69: Film / Kino-AugeDer medienarchäolo
- Seite 70 und 71: Ich bin Kinoglaz. Ich bin ein mecha
- Seite 72 und 73: Andersons Resident Evil (USA/GB/D 2
- Seite 74 und 75: Ernst Jüngers Begriff vom „zweit
- Seite 76 und 77: Perseus trotzt in der griechischen
- Seite 78 und 79: Eher im analytisch-messenden denn i
- Seite 80 und 81: Medien der Universität: Sprache, T
- Seite 82 und 83: Kommen wir zurück auf jenen Wahrne
- Seite 84 und 85: Was uns hier vorgeführt wird, ist
- Seite 86 und 87: nichts als den Informationswert (de
- Seite 88 und 89: Lange, langsame Einstellungen sind
- Seite 90 und 91: Mittelalter die tatsächlich gespie