Was uns hier vorgeführt wird, ist der medienarchäologische<strong>Blick</strong> vor aller Kulturhistorie. Dieser <strong>Blick</strong> wird in einemExperimentalfilm selbst zum Thema, allegorisch:In „Experimentelle Schußverletzungen am Auge“ von 1964 wird mit Luftgewehrkugeln, sowie mit angespitztenund mit stumpfen Holzpfeilen auf ein präpariertes Rinderauge geschossen. Die Aufnahmen sind mit einerHochgeschwindigkeitsZeitlupenkamera hergestellt; ein Sprecher erläutert trocken die jeweiligen Verletzungen.<strong>Der</strong> Film wirkt heute wie ein grausam zelebrierter Triumph der Kameratechnik über <strong>das</strong> menschliche Auge.Stichwort Skalpell: Luis Bunuels surrealistischer Debut-FilmUn chien andalou von 1928 - am Ende der Stummfilmepoche -zeigt gleich zu Beginn eine Szene, die zu den Ikonen derFilmgeschichte gehört. <strong>Der</strong> Mann mit seinem Rasiermesser - <strong>das</strong>Messer nahe am Auge einer Frau - <strong>das</strong> Auge des Kalbskopfs, <strong>das</strong>von einem Rasiermeser aufgeschnitten wird. <strong>Der</strong> von Lacan ja sogenannte skopische <strong>Blick</strong> ist hier Subjekt und Objekt zugleich- Filmschnitt, buchstäblich.Photo und System (IMAGO, Fischli / Weiss)Als Thesaurus wurde vom kunsthistorischen Bildarchiv FotoMarburg ICONCLASS übernommen, ein hierarchisch strukturiertes,alphanumerisches System der Codierung von Bildinhalten. Sokann in einem System von Schlagwörtern, neben der präzisenRecherche mittels der Codierung, auch mit Freitext gesuchtwerden . Doch dieses Verfahren bleibtdiesseits der Schwelle von bildbasierter Bildsortierung:<strong>Der</strong>jenige, der nach Teppichornamenten sucht, der an Gewandgebung Interessierte oder ein Forscher, dessenInteresse sich auf Fragen des Kolorits richtet, würde hingegen keinen Erfolg haben. <strong>Der</strong> Benutzer einerDatenbank kann nur <strong>das</strong>jenige finden, was die Katalogisierer zu indizieren bereit waren. Gegenüber der mangelnden Flexibilität der Verschlagwortungbisheriger Bilddatenbanken setzt IMAGO auf die Metapher desKarteikastensystems als jederzeit sichtbarem Thesaurus, derstatt des sequentiellen den wahlfreien Zugriff über ein(alphabetisches, seinerseits also sequentielles) Registerermöglicht. Immerhin erlaubt ein „Hyperlinkmodul“ durch dragand drop „nichtsprachliche Verbindungen zwischen einzelnenMotiven und zwischen Motiven und Texttellen“ . Zielist, „eine möglichst assoziative Oberfläche zu gestalten“ -vgl. Vannevar Bushs 1945er Entwurf eines mechanischen MemoryExtender, der „selection by association, rather than byindexing“ deklarierte. Genuin bildbasierte Bildsortierungsucht dem optischen Artefakt (wie wir es lieber als "Bild"nennen) zu seiner ihm eigentlichen Aussagekraftzurückzuverhelfen, die durch Abstraktion in rein sprachlichorientierten Datenbanken verlorengehen. Zur Verhandlung steht
also eine Option, die es ermöglicht, „daß man `unscharf´ aufdie Suche nach einem Themengebiet gehen kann“ .Durch Sortierung nach unterschiedlichen Feldern (Indizes) kann die Datenbank ständig in eine andereReihenfolge gebracht und dementsprechend schnell innerhalb jedes dieser Felder durchgesehen werden. Wie auf einem Leuchtkasten sollten die Abbildungen in ihrer Reihenfolge umgestellt und als Arbeitsmaterial inihrer Reihenfolge umgestellt und als Arbeitsmaterial in Mappen abgelegt werden können“ 212- ein genuiner Atlas, ein Bildtafelwerk auf Zeit.Das Dispositiv für Bildtafelwerke - ob Photo oder Dias -bleibt die Fläche, wie sie die Schweizer Konzeptkünstler PeterFischli und David Weiss für ihre Installation nutzen, die 2001in den Kunst-Werken Berlin-Mitte zu sehen war. Wortfreipräsentiert sich darin <strong>das</strong> buchstäbliche Bilder-Buch derSichtbare Welt (Köln: König 2000):Ein Katalog ohne Katalogik, denn die Bilder haben keine Legenden. Nicht einmal die Seiten sind paginiert. Eineendlose Bildstrecke versetzt den Leser in ein wortloses Schauen, <strong>das</strong> die automatische Schreibweise derSurrealisten in eine lecture automatique überträgt. 213Bedeutet diese "Automatik" auch, daß sie maschinellimplementiertbar ist. Vielleicht aber sähe ein Scanner nochunerbittlicher in der Logik und mit dem kalten <strong>Blick</strong> derInformatik, was menschliche Bildwahrnehmung zu verwischenneigt: "die feinen Unterschiede ähnlicher Motive" .Andy Warhols identischer Vervielfachung des Realen setzen Fischli und Weiss eine Form der unmerklichabwandelnden Wiederholung entgegen, die <strong>das</strong> Gleiche immer wieder etwas anders aussehen lässt. Dabeischeinen die Variationen nicht unbedingt den Informationswert des Bildes zu erhöhen, eher forcieren sie seinesemantische Entleerung. Die Sichtbare Welt persifliert nicht ohne Humor die überbordenden Bilderspeicherkommerzieller Bildagenturkataloge . Während jene die Welt nach Gemeinplätzen des Zeitgeistinteresseseinteilen, bringen Fischli und Weiss den Leser mit sanftemDruck dazu, die Unterschiede im Ganzen selbst zufinden. Installiert als Leuchtbildserie in der Kunst-Werken Berlin(Juli 2001), erschlossen sich die Photoreihen in Leserichtung,Zeile für Zeile und nach Gruppen wie Buchseiten arrangiert. Soentpuppt sich die scheinbar textlose Welt selbst als Text.Liegt eine Übersetzung von Bildern in Text vor, so können alle konventionellen Operationen derTextverarbeitung zum Ausgang der Operation Sortieren werden. Seit mehr als 150 Jahren gibt es einezweite Methode, Bilder in eine Art von Text zu verwandeln. Diese Variante der Ekphrasis heißt schlicht undeinfach Scanning 214- und ist damit (medienarchäologisch radikal) unhermeneutisch.Vielmehr reduziert der Scanner <strong>das</strong>, was wir „Bild“ nennen, auf212André Reifenrath, Kunstgeschichte digital. Über die Probleme einer geisteswissenschaftlichen Bilddatenbankund deren Lösung, in: HumboldtSpektrum 1/95, 3841 (38 u. 40)213Rezension Andreas Ruby, Wozu Worte, wenn man Bilder hat, in: Die Zeit Nr. 29 v. 12. Juli 2001, 42214Bilder sortieren. Vorschlag für ein visuell adressierbares Bildarchiv, Vortrag Stefan Heidenreich 13.XI.96KHM Köln, TS Fassung 13.11.96, Seite 3
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er den un-menschlichen Blick hat. H
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sich seine Erkenntnismetapher von d
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Bezug zum Objekt verweigert, im Geg
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