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Kalter Sinn. Der medienarchäologische Blick, das ...

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lind - seit dem 4. Februar 1882 in Genua als erster Philosopheiner Schreibmaschine und lieferte sich den Vampyrzähnen ihrerTastatur aus - der buchstäblichen Atomisierung des <strong>Sinn</strong>s bishin zum Delirium, zur Zerstückelung des Individuellen. Soheißen denn Nietzsches Schreibmaschinen-Gedichte auch 500Aufschriften auf Tisch und Wand für Narrn von Narrenhand.Unter diesen Typoskripten unter anderem: „GLATTES EIS EINPARADEIS FÜR DEN DER GUT ZU TANZEN WEISS“. Hier ist die Kältebuchstäblich.Physiologische Sehschwäche ist hier Bedingung fürmedienarchäologische Einsicht. Nietzsches Schreibmaschine imUnterschied zu Goethes Tintenfaß, eine sogenannte Schreibkugeldes Kopenhagener Pastors Hans Rasmus Johan Malling Hansen, war- bevor sie auch in Büros zum Einsatz kam - zunächst fürBlinde und Taubstumme entwickelt worden. Dies stützt noch dieThese McLuhans, daß Medien als Prothesen menschlicher<strong>Sinn</strong>esdefekte, also als Funktion eines Mangels zustande kommen- was sich erst mit dem Computer radikal ändert und damit eineneue Epistemologie in Gang setzt. Aber nicht erst McLuhan,Nietzsche selbst vollzieht eine Medientheorie seinerSchreibmaschine im Vollzug. „Mit dem Hammer Fragen stellen welches Entzücken für einen, der Ohren noch hinter denOhren hat“, schreibt Nietzsche. 120 Die Schreibmaschine war fürFrierich Nietzsche nicht nur eine Prothese für seine mangelndeSehschärfe, den Augenblick, sondern er resoniert sie vielmehrmit medientheoretischem Ohr. Nietzsche schreibt fortan anmechanisierte „Worte-macher“ . „<strong>Der</strong> Hammer redet“- dieser Begriff Nietzsches aus der Götzen-Dämmerung wird wirklich im Hämmern auf der Schreibmaschine, dem„Verse schmieden“ . 121Siegfried Zielinski vertritt den Standpunkt einer„Archäologie, für die poetische Durchdringungen derMedienwelten einen besonderen Stellenwert haben“ 122 , inausdrücklicher Anlehnung an den Begriff der Magie in ErnstCassirers Aufsatz „Form und Technik“ (1930). Gerade dadurchaber unterscheidet sich Technik von Magie: durch die Ein-Eindeutigkeit ihrer Abläufe; von daher plädiert dervorliegende Text für eine Theorie, die an der Poesie dieMaschine sieht.Nietzsche schaut mit kaltem, signaltechnischen <strong>Blick</strong> auf dieSprache selbst, ist ihm doch <strong>das</strong> Wort schlicht die „Abbildungeines Nervenreizes in Lauten“, die an sich weder falsch nochwahr ist 123 , sondern gleichwahrscheinich wie 0/1 als kleinste120Friedrich Nietzsche, Götzendämmerung (1888), in: Werke in drei Bänden, hg. v. Schlechta, xxx, Bd. 2, 941121Christof Windgätter, Inszenierung eines Mediums. Zarathustras „Vorrede“ und die Frage nach der „Sprache“,in: Ästhetik und Kommunikation, Heft 110, September 2000, 89-97 (94)122Siegfried Zielinski, Archäologie der Medien. Zur Tiefenzeit des technischen Hörens und Sehens, Reinbek b.Hamburg (Rowohlt) 2002, 295123Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen <strong>Sinn</strong>e, KSA Bd. 1, 878

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