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Kalter Sinn. Der medienarchäologische Blick, das ...

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Verbale Markierungen werden in hermeneutischer Lesart zuSymptomen verborgener Aussagen, vor dem Hintergrund einerTradition biblischer Exegese, die hinter dem manifesten immereinen verborgenen, allegorischen <strong>Sinn</strong> las - gemäß der Lehrevom vierfachen Schriftsinn. Recensio meinte einmal„Musterung“, die philologisch-kritische „berichtigendeDurchsicht eines alten, oft mehrfach überlieferten Textes“(Duden). Dieser kritische <strong>Blick</strong> auf Buchstäblichkeiten,kombiniert mit der Tradition der hermeneutischen Bibelexegese,eskaliert dann im 19. Jahrhundert zur nicht mehr nurtechnisch, sondern ontologisch invasiven Lektüre, zum Einlesenvon <strong>Sinn</strong>: „Heißt <strong>das</strong>, daß Interpretation ein Einlegen von <strong>Sinn</strong>und nicht ein Finden von <strong>Sinn</strong> ist?“, fragte Hans-Georg Gadamereinmal. 92 <strong>Der</strong> Philologe muß einen lesbaren Text herstellen, wasscho(e)n nur bei Unterstellung eines gewissenVorverständnisses möglich ist: ein hermeneutischer Zirkel, derquantenmechanisch korrigierbar wäre (die Beobachterdifferenz;Spencer Brown). So unterstellt denn der Hermeneutiker jenen(Buchstaben-)Schatten spurensicher Lesbarkeit, gleich demDetektiv, der am Ende Indizien von Verbrechen dechiffriert,die in der Tat nie geschahen. Nietzsche kritisierte dieseinerzeit diagnostizierte "Mißachtung des Ge-schriebenenzugunsten des Be-schriebenen" 93 . Von daher sucht Nietzschevielmehr auf Wort-Oberflächen zu achten - steht dem Leser doch(gleich einem Scanner) buchstäblich "bedrucktes Papier vorAugen" 94 .Prosopopöie im Archiv<strong>Der</strong> kalte <strong>Blick</strong> auf <strong>das</strong>, was mit warmer historischerImagination „Kulturgeschichte“ genannt wird, sieht nüchternbetrachtet Datenlage. Die Wissensgrundlage unserer Analysenist selbst un-menschlich, denn sie beruht nicht mehr aufDialog mit Menschen, sondern auf reinen Speichermedien undÜbertragungskanälen (Texte, Bilder, Artefakte). Die Archivesind kalt.Am Begriff der Geschichte scheiden sich die Geister derGriechen und Rankes:Das deutsche Wort „Geschichte“ verlegt <strong>das</strong> Schwergewicht in <strong>das</strong> Geschehen und bekundet damit ein Interessean seinem wirklichen Verlauf, an den rein tatsächlichen Veränderungen, und gibt vor, damit von irgendeinemanderen Interesse abzusehen, sei es künstlerisch, ethisch, politisch oder sonst irgendiwe begründet, währendhistoría nicht vom Objekt, sondern vom sehenden und begreifenden Objekt ausgeht. 91Siehe W. E., Rezension "(Frank) Gadamer und abermals <strong>Der</strong>rida", über: Philippe Forget (Hg.) 1984, in:Nürnberger Blätter 4 (September - November 1986), 16f92In: Philippe Forget (Hg.), Text und Interpretation, München (Fink) 1984, 3493So unterstrichen von Christof Windgätter, "Und dabei kann immer noch etwas verloren gehen! -" EineTypologie feder- und maschinenschriftlicher Störungen bei Friedrich Nietzsche, in: David Giuriato / MartinStingelin / Sandra Zanetti (Hg.), "Schreibkugel ist ein Ding gleich mir: von Eisen". Schreibszenen im zeitalterder Typoskripte, München (Fink) 2005, 49-74 (62)94Friedrich Nietzsche, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hg. v. Giorgio Colli / Mazzino Montinari,München / Berlin / New York (dtv / de Gruyter) 1988ff, hier: Bd. 5, 256

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