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Kalter Sinn. Der medienarchäologische Blick, das ...

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erst mit Techniken wie Leon Battista Albertis Perspektive oderder Zeichenmaschine Albracht Dürers; der Prozeß der optischenWahrnehmung wird zu einem standardisierten Verfahren. "Esbeginnt in dieser Zeit jene Technisierung des Sehens, die überFoto- und Filmapparate zu den Videosensoren unserer Gegenwartführt" und - so schon die These MarshallMcLuhans - durch den Buchdruck verstärkt wird, der den Sehsinnprivilegiert - womit <strong>das</strong> Buch(druck)zeitalter durch dieAusrichtung der menschlichen <strong>Sinn</strong>e auf die visuelle, optischlineareInformationsaufnahme den Boden für die Rezepzivitätder Bilderfluten des Internet überhaupt erst bereitet hat.McLuhan hat die Abkühlung des Tastsinns und der akustischenWahrnehmung durch die Aufheizung der einen Sehsinns infolgevon privilegierter Informationsaufnahme durch Lektüredefiniert; hier wird die Frage nach dem kaltenmedienarchäologischen <strong>Blick</strong> als Differenz von "heißen undkalten Medien" konkret. 113 In diesem Moment kommt Zeit kritischins Spiel. Die Differenz zwischen der Lesegeschwindigkeit vorund nach Gutenberg erinnert daran, daß mittelalterlicheHandschriften - wie vokalalphabetische Schriften infrühgriechischer Zeit 114 - laut gelesen wurden, z. T. auchgesungen; die Texte wurden den Schreibern (in Skriptorien)diktiert. Erkaltung des <strong>Blick</strong>s vom lauten Lesen zur reinenInformationsaufnahme im Buchdruck, ein Umkippen von Sehen undErtasten des Manuskripts auf Pergament ins Lesen papierernerBuchseiten. Die Gutenberg-Bibel erlaubte drucktechnisch auchden rechtsbündig geschlossenen Block: die ästhetischeGeometriesierung des Textes wurde durch Interpolation desspatium als Worttrenntype kalkulierbar. Damit erhöht sich dieLesegeschwindigkeit. 115Vilém Flusser hat die lineare Schrift einmal als„Ikonoklasmus“ des zweidimensionalen Bildes beschrieben.<strong>Blick</strong>technisches Erbe der 42zeiligen Gutenberg-Bibel aber istAnfang des 20. Jahrhunderts ausgerechnet <strong>das</strong> elektromechanischmit der Nipkowscheibe erzeugte 30-Zeilen-Fernsehbild. DieInformationsaufnahme geschieht auch dort noch zeilenförmig, wonicht gelesen, sondern schlicht optische Wahrnehmungmiteinander synchronisiert wird. 116 Das Fernsehbild ist zwarzeilenförmig gegliedert wie die quasi-militärischenBuchstabenformationen altgriechischer Texte (stoicheia), wird113Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle. Understanding Media, Düsseldorf / Wien (Econ) 1968, Kapitel II114Jesper Svenbro, Phrasikleia. Anthropologie des Lesens im antiken Griechenland, Paderborn (Fink) 2005115Paul Saenger, Space Between Words. The Origins of Silent Reading, Stanford UP 1998; ferner: Dennis H.Green, Hören und Lesen. Zur Geschichte einer mittelalterlichen Formel, in: Wolfgang Raible (Hg.):Erscheinungsformen kultureller Prozesse, Tübingen 1990, 23­44, und ders., Medieval Listening and Reading,1994116Den Vergleich zwischen der Medientechnik des Buchdrucks und der Zeilenförmigkeit des TV­Bildes leisteteWolfgang Hoefer, Student der Kulturwissenschaft an der Humboldt­Universität zu berlin, am 24. Januar 2003unter dem Titel Lesen im Mittelalter; Lesegeschwindigkeit vor/nach Gutenberg, im Rahmen des Seminars <strong>Der</strong>kalte <strong>Blick</strong>. Medien als Subjekt und Objekt von Kulturwissenschaft, (Wolfgang Ernst), Wintersemester 2002/03,Seminar für Ästhetik, ebd.

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