Giesecke die frohe Botschaft einer multimedialen Gesprächsweltgegenüber. 117Es handelt sich um eine treffende Deutung, wenn einGrundlagentext zur Medientheorie des 20. Jahrhunderts, ClaudeE. Shannons Mathematical Theory of Communication von 1948, mit„Informationstheorie“ übersetzt wird. Hier geht es nämlichgerade nicht um communication als Verständigung im <strong>Sinn</strong>e derHermeneutik, um <strong>das</strong> „Verschmelzen von Verstehenshorizonten“(Gadamer) oder um eine Kommunikationsethik im <strong>Sinn</strong>e von JürgenHabermas, sondern um die kühle Kalkulation derWahrscheinlichkeiten, mit der eine kodierte Botschaft amanderen Ende der Leitung dekodiert werden kann. Niklas Luhmannzufolge ist Kommunikation unwahrscheinlich; Medien sind dazuda, diese Unwahrscheinlichkeit in Wahrscheinlichkeit zuüberführen. Schauen wir auf <strong>das</strong> Flimmern und Rauschen derVideomonitors im Hintergrund: Erst wenn die VHS-Cassettelosspielt, wird daraus Bildform.Doch Shannons Entwurf ist nicht nur eine unwahrscheinliche,sondern eine Mathematische Theorie der Information (so diedeutsche Übersetzung 1963). Shannons Nachrichtentheoriezeichnet aus, daß sie ausdrücklich von der Semantik derBotschaften absieht, um Einsicht in <strong>das</strong> statistische Maß derWahrscheinlichkeit für gelungene En- und Dekodierung vonInformation im Kontext von engineering zu erlangen:Was <strong>das</strong> für Wesen sind, die als Datenquellen eine Nachricht zu übermitteln und als Datensenken eine Nachrichtentgegenzunehmen haben, also zum Beispiel Menschen oder Götter oder technische Geräte, kann dermathematischen Kommunikationstheorie dabei vollkommen gleichgültig sein. Sie fragt nicht nachirgendwelchen Wesen, für die die Nachricht, wie man sagt, <strong>Sinn</strong> oder Bedeutung hat, sondern erreicht ihreAllgemeinheit gerade dadurch, daß sie <strong>Sinn</strong> und Bedeutung ignoriert, um stattdessen den internen Mechanismusder Kommunikation zu klären. Die Nachricht, weil sie ja ohne jede Semantik gedacht wird, kann also vonbeliebigem Typ sein: eine Sequenz von Buchstaben wie in Büchern oder auch in Telegraphensystemen, eineeinzige in der Zeit veränderliche Größe wie die Sprach oder Musikschwingungen im Radio und aufSchallplatte. 118Gleichwohl bleibt wahr, daß eine auf Schriftzeichen reduzierteBotschaft zwar einen potentiellen Informationsgehalt, damitaber noch keinen <strong>Sinn</strong> besitzt. "In einer verlassenenBibliothek lebt kein Geist mehr: Papier und Tinte undDruckerschwärze haben ihre Bedeutung verloren.“ 119 Daher setztManfred Frank auf <strong>das</strong> „deutungsfähige Individuum“, durch <strong>das</strong>der quasi untote Text erst „aufersteht“ .Bis an Nietzsche mag <strong>das</strong> stimmig gewesen sein; doch derbediente sich - mit minus 14 Dioptrien Kurzsichtigkeit fast117Christoph Albrecht, Am Heeresgerät vergriffen. Elektronische Promiskuität als Ideal: Michael GieseckesEvangeliumder neuen Medien, über: Michael Giesecke, Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen derInformationsgesellschaft. Trendforschungen zur kulturellen Medienkökologie, in: Frankfurter AllgemeineZeitung Nr. 233 v. 8. Oktober 2002, L 27118Friedrich Kittler, Optische Medien. Berliner Vorlesung, Berlin (Merve) 2002, xxx119Manfred Frank, Die Grenzen der Beherrschbarkeit von Sprache, in: Forget (Hg.) 1984: 204.
lind - seit dem 4. Februar 1882 in Genua als erster Philosopheiner Schreibmaschine und lieferte sich den Vampyrzähnen ihrerTastatur aus - der buchstäblichen Atomisierung des <strong>Sinn</strong>s bishin zum Delirium, zur Zerstückelung des Individuellen. Soheißen denn Nietzsches Schreibmaschinen-Gedichte auch 500Aufschriften auf Tisch und Wand für Narrn von Narrenhand.Unter diesen Typoskripten unter anderem: „GLATTES EIS EINPARADEIS FÜR DEN DER GUT ZU TANZEN WEISS“. Hier ist die Kältebuchstäblich.Physiologische Sehschwäche ist hier Bedingung fürmedienarchäologische Einsicht. Nietzsches Schreibmaschine imUnterschied zu Goethes Tintenfaß, eine sogenannte Schreibkugeldes Kopenhagener Pastors Hans Rasmus Johan Malling Hansen, war- bevor sie auch in Büros zum Einsatz kam - zunächst fürBlinde und Taubstumme entwickelt worden. Dies stützt noch dieThese McLuhans, daß Medien als Prothesen menschlicher<strong>Sinn</strong>esdefekte, also als Funktion eines Mangels zustande kommen- was sich erst mit dem Computer radikal ändert und damit eineneue Epistemologie in Gang setzt. Aber nicht erst McLuhan,Nietzsche selbst vollzieht eine Medientheorie seinerSchreibmaschine im Vollzug. „Mit dem Hammer Fragen stellen welches Entzücken für einen, der Ohren noch hinter denOhren hat“, schreibt Nietzsche. 120 Die Schreibmaschine war fürFrierich Nietzsche nicht nur eine Prothese für seine mangelndeSehschärfe, den Augenblick, sondern er resoniert sie vielmehrmit medientheoretischem Ohr. Nietzsche schreibt fortan anmechanisierte „Worte-macher“ . „<strong>Der</strong> Hammer redet“- dieser Begriff Nietzsches aus der Götzen-Dämmerung wird wirklich im Hämmern auf der Schreibmaschine, dem„Verse schmieden“ . 121Siegfried Zielinski vertritt den Standpunkt einer„Archäologie, für die poetische Durchdringungen derMedienwelten einen besonderen Stellenwert haben“ 122 , inausdrücklicher Anlehnung an den Begriff der Magie in ErnstCassirers Aufsatz „Form und Technik“ (1930). Gerade dadurchaber unterscheidet sich Technik von Magie: durch die Ein-Eindeutigkeit ihrer Abläufe; von daher plädiert dervorliegende Text für eine Theorie, die an der Poesie dieMaschine sieht.Nietzsche schaut mit kaltem, signaltechnischen <strong>Blick</strong> auf dieSprache selbst, ist ihm doch <strong>das</strong> Wort schlicht die „Abbildungeines Nervenreizes in Lauten“, die an sich weder falsch nochwahr ist 123 , sondern gleichwahrscheinich wie 0/1 als kleinste120Friedrich Nietzsche, Götzendämmerung (1888), in: Werke in drei Bänden, hg. v. Schlechta, xxx, Bd. 2, 941121Christof Windgätter, Inszenierung eines Mediums. Zarathustras „Vorrede“ und die Frage nach der „Sprache“,in: Ästhetik und Kommunikation, Heft 110, September 2000, 89-97 (94)122Siegfried Zielinski, Archäologie der Medien. Zur Tiefenzeit des technischen Hörens und Sehens, Reinbek b.Hamburg (Rowohlt) 2002, 295123Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen <strong>Sinn</strong>e, KSA Bd. 1, 878
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