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Kalter Sinn. Der medienarchäologische Blick, das ...

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Lange, langsame Einstellungen sind charakteristisch für denfilmischen Topos der Abschiede. <strong>Der</strong> kalte <strong>Blick</strong> der Hollywood-Industrie verhandelt zwar emotions, aber jeder Moment istdurchkalkuliert nach dem industriellen Muster von Kameraschuß/ Gegenschuß. Genau dies macht solche Filme so(computer)berechenbar. <strong>Der</strong> kalte <strong>Blick</strong> der Hollywood-Skripte(durchökonomisierte Bilder der Subjektproduktion)korrespondiert hier mit Optionen der elektronischen Ordnungeben dieser Bilder. Evident ist dies dem wiederum kalten,scharfen <strong>Blick</strong> der Filmanalytiker im Unterschied zumsemantischen <strong>Blick</strong> des Kinopublikums. Erst die Einführung desAufzeichnungsmediums Video aber machte solche Filme denKritikern zuhause wie vormals literarische Produkte derBuchkultur nachsichtbar (also sehen sie gar nicht Film,sondern schreiben Videokritiken).Im Diesseits von Musik: AkustikJonathan Crary interpretiert die Architektur desFestspielhauses von Bayreuth als bewußt geplante Ausrichtungdes <strong>Blick</strong>s der Zuschauer durch Richard Wagner - theoría alsDispositiv. Dem wäre eine Interpretation entgegenzusetzen, dienicht sieht, sondern vor allem hört. Dem kalten <strong>Blick</strong> geselltsich <strong>das</strong> kalte Ohr zu, am Beispiel des einsetzenden Akt II vonWagners Oper Tristan und Isolde. „Mir schwand schon fern derKlang", äußert Isolde nach dem Abzug der Männer zur Jagd.Medium dieser Wahrnehmung , im Gegensatz zu aller Theaterpraxis vor Wagner, sind keine Augen, sondernOhren. <strong>Blick</strong>e, Masken, Erscheinungen ­ nichits von alledem zählt mehr. Zum erstenmal hat eine Oper stattoptischer Handlungen, die Vokal­ und Instrumentalmusiken dann nurmehr begleiten würden, eine akustischeHandlung, die zum Drama selber aufrückt. <strong>Der</strong> Dialog zwischen Isolde und Brangäne kreist ja um die einzigeFrage, ob <strong>das</strong> Gehörte akustishe Wahrnehmung oder akustische Täuschung ist. Was Isolde „wonnigesRauschen“ oder „sanft rieselnde Welle“ eines „Quells“ nennt, greift dem Ingenieursbegriff Rauschquelle jaunmittelbar zuvor. Wagners Musik ist also eine Maschine . „Zu vernehmen, was du wähnst“, besagt sehrpräzise, die Grenze zwischen Kunst und Natur, im gegevenen Fall also zwischen Ventilhörnern undQuellgeräuschen systematisch zu ignorieren 220- wie den Gesang der Sirenen als Differenz von künstlicher undtatsächlich humaner Stimme.Audiovisuelle Medien adressieren menschliche Augen und Ohren.Während optische oder gar bildgebende Apparaturen denpassionslosen <strong>Blick</strong> auf Materie und Prozesse lehren, sind dieOhren empfindlich für Klang und damit der melancholischenErfahrung von Zeitablauf unterworfen. Homer gab im 12. Gesangseiner Odyssee ein Rätsel auf, als er den Helden amSchiffsmast angebunden und seine Ruderer mit wachsverstopftenOhren am verführerischen Gesang von zwei Sirenen220Friedrich Kittler, „Vernehmen, was Du wähnst“. Über neuzeitliche Musik als akustische Täuschung, in:Kaleidoskopien Heft 2 (1997), 8-16 (14)

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