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Kalter Sinn. Der medienarchäologische Blick, das ...

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Ein wahrer Wald von Schornsteinen säumt den Horizont: Denn <strong>das</strong> Instrument registriert alles, was eswahrnimmt, und einen Schornsteinaufsatz oder einen Schornsteinfeger würde es mit der gleichenUnparteilichkeit festhalten wie den Apoll von Belvedere. 162Ernst Jüngers Bildband <strong>Der</strong> gefährliche Augenblick (1931) zeigtZug- und Flugzeugunglücke, unter Anderem eine Vorwegnahme derSelbstmordbomber vom 11. September 2001 in Washington und NewYork: „Mineola. Sturz eines amerikanischen Verkehrsflugzeugesauf ein Haus. Flugzeug und Haus gerieten in Brand“. Das kalte Medium Photographie (undRadio und Fernsehen avant la lettre) steht im Bund mit derNatur der Katastrophe selbst:So erscheint der alltägliche Unfall selbst, der unsere Zeitungen füllt, fast ausschließlich als Katastrophetechnischer Art. Darüber hnaus ist an dieser zugleich nüchternen und gefährlichen Welt <strong>das</strong> Wunderbare dieRegistratur der Augenblicke, in denen die Gefahr erscheint, ­ eine Registratur, die wiederum, wenn sie nicht <strong>das</strong>menschliche Bewußtsein unmittelbar übernimmt, durch Maschinen geleistet wird. Es gehört keine prophetischeBegabung dazu, vorherzusagen, daß bald jedes beliebige Geschehnis an jedem beliebigen Punkte sowohl zusehen wie zu hören sein wird. Schon heute gibt es kaum einen Voragng, der Menschen von Bedeutung scheint,auf den nicht <strong>das</strong> künstliche Auge der Zivilisation, die photographische Linse gerichtet ist. So entstehen oftBilder von einer mathematischen Dämonie, durch die <strong>das</strong> neue Verhältnis des Menschen zur Gefahr auf einebesondere Weise sichtbar wird. 163Da haben wir sie, die Geometrisierung, ja Mathematisierung des<strong>Blick</strong>s. Und weiter:Man muß erkennen, daß es sich hier weit weniger um die Eigenart neuer Mittel handelt als um einen neuen Stil,der sich technischer Mittel bedient. Dies leuchtet ein, wenn man die gleichzeitige Veränderung seit langem zurVerfügung stehender Mittel, so etwa der Sprache, untersucht. So wenig unsere Zeit an Literatur im alten <strong>Sinn</strong>ehervorbringt, so Bedeutendes leistet sie in bezug auf den sachlichen Erlebnisbericht. Das Bedürfnis desMenschen kommt ihr entgegen, dies erklärt unter anderem der Erfolg der Kriegsliteratur. Damit korrespondiert <strong>das</strong> Vorwort des Herausgebers FerdinandBucholtz: „ein neuartiges, ebenso unsentimentales wieunliterarisches Bilder- und Lesebuch zu schaffen.“ Trifft derkalte <strong>Blick</strong> hier auf ein anthropologisches Dispositiv? Jüngerdiagnostiziert „die absolute Gefahr“ als medientechnischeEskalation von Lessings Definition des prägnantes Moments(sein Traktat Laokoon von 1766). Er differenziert diezeitliche Modalität des (gefährlichen) Augen-<strong>Blick</strong>s, Ende der30er Jahre im Stück An der Zollstation beschrieben: „Wirunterscheiden zwischen dem Tode und dem Sterben nicht scharfgenug. Diese Unterscheidung ist insofern von Wert, als vieles,was wir dem Tode zuschreiben, sich bereits im Sterbenvollzieht“ .Jünger charakterisiert den Zeitabschnitt als „Spanne,diezugleich zur Zeit und auch nicht mehr zu Zeit gehört“ - eine Art räumliche162William Henry Fox Talbot, <strong>Der</strong> Zeichenstift der Natur, in: Die Wahrheit der Photographie, hg. v. W. Wiegand,Frankfurt/M. 1981, 61163Ernst Jünger, „Über die Gefahr“, in: Augenblick 1931: 11­16 (16)

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