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kurzgeschichte - SpecFlash

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DIE Bücherdimension<br />

Schritt. Bald waren es nicht nur die Geistlichen,<br />

die auf das Kind einredeten, sondern auch die<br />

umstehenden Soldaten, die Fahrer der Transporter<br />

und schließlich auch ich.<br />

„Komm zu uns, liebes Kind! Komm hierher!<br />

Komm doch! Komm!“<br />

Als die vor der ersten und hinter der zweiten<br />

Absperrung stehende Familie der Kleinen hörte,<br />

wie sehr wir uns um sie bemühten, verstärkte<br />

sie ebenfalls ihre Anstrengungen. Alle Worte,<br />

alle Argumente verschmolzen mit der Zeit zu<br />

einem einzigen Komm!, das von allen Seiten auf<br />

das Mädchen eindrang, es einzufangen suchte<br />

in einem Netz sich widersprechender Verheißungen.<br />

Endlich, kurz vor der zweiten Barrikade,<br />

blieb sie stehen. Eine Sekunde verging, dann<br />

eine weitere … dann ließ das Kind seine Puppe<br />

fallen, drehte sich stolpernd um die eigene<br />

Achse und kam schluchzend auf uns zugerannt.<br />

Kaum hatte es das Kreuz berührt, wurde es von<br />

den Priestern auch schon getauft und von seinen<br />

Sünden reingewaschen. Ein Soldat nahm das<br />

zitternde Bündel auf. Während wir übrigen uns<br />

lachend in den Armen lagen, rannte er mit der<br />

Kleinen zu den Schutz verheißenden Fahrzeugen<br />

hinüber.<br />

Dann kam die Mutter des Mädchens durch die<br />

Absperrung. Gerade noch rechtzeitig, um mit<br />

anzusehen, wie ihre Tochter im Innern des<br />

Militärtransporters verschwand. „Amelie! Amelie!“,<br />

schrie sie und schlug sich dabei in selbstvergessener<br />

Gram wieder und wieder die Fäuste<br />

ins Gesicht. „Amelie!“<br />

Hätte ich vielleicht Mitleid mit dieser Frau haben<br />

sollen? Mit diesem Zerrbild einer Mutter, die<br />

dazu bereit gewesen war, ihr Kind von den<br />

Kiefern der Hordenwesen zerstückeln zu lassen?<br />

Die Priester, die Soldaten und ich, wir alle<br />

hüllten uns in eisiges Schwiegen, bis die Frau<br />

<strong>SpecFlash</strong> - das Portal in eine parallele Realität<br />

endlich aufstand und benommen auf die zweite<br />

Absperrung zu taumelte.<br />

Es war Mittag, und mir wurde warm. Ich öffnete<br />

den obersten Knopf meiner Uniform und zog die<br />

Sonnenbrille aus ihrem Etui. Auf einer meiner<br />

Stiefelspitzen ließ sich ein Zitronenfalter nieder.<br />

Bis auf das heisere Schluchzen von Amelies<br />

Mutter war es still.<br />

***<br />

Wir verließen die Ebene von Aselschott, kurz<br />

bevor die Ufer des großen Flusses in Sichtweite<br />

gekommen wären. Bis auf die Felsenfeste von<br />

Jista – dem Ort, an dem das heilige Buch vom<br />

Himmel fiel – hatte ich damals jeden für unseren<br />

Glauben bedeutsamen Platz bereits einmal<br />

besucht. Die Horde bildete da keine Ausnahme.<br />

Gemeinsam mit fünf anderen Kadetten des<br />

Kollektivs hatte ich von der großen Aussichtsplattform<br />

aus auf die zwar erstarrte, nichtsdestoweniger<br />

aber Furcht einflößende Geißel<br />

unseres Herrn hinabgeblickt. Doch diesmal war<br />

es anders. Ganz anders. Ich konnte die Horde<br />

fühlen, noch ehe ich sie sehen konnte. Ihre Nähe<br />

verursachte ein unangenehmes Kribbeln auf<br />

meiner Haut. Ich bekam Kopfschmerzen. Erst<br />

kaum wahrnehmbar wie ein leichter Schwindel,<br />

dann immer heftiger werdend.<br />

Am Ende ihrer letzten Wanderschaft hatte die<br />

Horde den großen Fluss verdrängt. Nachdem er<br />

das umliegende Land eine Zeit lang überschwemmte,<br />

grub sich der Strom ein neues Bett<br />

in den Untergrund. Nun umfloss er die vorderen<br />

Ausläufer der Insektenbrut und bildete damit<br />

die in der Abendsonne glitzernde Fassung für ein<br />

Amulett aus reiner Bösartigkeit.<br />

Mit Fort Waterkamp unterhielt die Armee eine<br />

kleine Festung, wie es an der Grenze zu Burgenreich<br />

einige gibt. Der Kommandant wies mir ein

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