kurzgeschichte - SpecFlash
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20<br />
Ars Poetica<br />
holz verenden. Er legte sich zu ihnen und ließ sie<br />
an sich kuscheln. Und – welch Wunder – im<br />
Morgengrauen sprangen die Böcklein und Kitze<br />
und der räudig gewesene Leithammel munter<br />
neben ihm einher, als hätten sie durch seine<br />
heilbringende Nähe den Tod abgeschüttelt. Es<br />
sprach sich herum, und alle kamen, den Knaben<br />
zu schauen, der unter den neugierigen Blicken<br />
ganz krank wurde wie ehedem seine animalischen<br />
Patienten. Und dann weinte er manchmal<br />
unter einem Blick, und er las aus den Augen<br />
seines Betrachters Unheil und sagte es ihm<br />
voraus. Jene, die ihn verlachten, über die brach<br />
unabwendbar das prophezeite Übel herein. Doch<br />
die auf ihn hörten und Abhilfe schafften gegen<br />
die drohenden Menetekel, denen mochte mitunter<br />
noch langes Glück beschieden sein. Einem<br />
Wanderer, der des Weges kam, dem rief er ein<br />
aus Angst und Entsetzen geborenes »Halt!«, zu.<br />
Und wie der Angerufene vor Erstaunen den<br />
Schritt verhielt, stürzte vor ihm die Brücke in der<br />
plötzlich anschwellenden Flut des Baches ein,<br />
und wurde fortgerissen – und mit ihr wäre der<br />
unbekannte Wanderer im Wasser umgekommen,<br />
hätte er den Schritt getan, vor dem ihn der<br />
warnende Ruf des Heiligen bewahrte. Und so<br />
wirkte er Wunder um Wunder, brachte Gesundheit<br />
mit heilender Hand und entlarvte all jene,<br />
die Böses unter die braven Bürger von Oberach<br />
säen wollten. Und eines Tages warnte er mit<br />
lautem Geschrei vor dem großen Blitz, der in<br />
diese Galaxis einschlagen sollte. Die Bürger<br />
ahnten, dass großes Unheil bevorstand, doch<br />
konnten sie seine Zeichen nicht deuten. Denn wer<br />
von den Leuten konnte sich schon das Ausmaß<br />
der Gefahr vorstellen, die die Blitze bedeuteten,<br />
die mit elementarer Wucht in die Galaxis einbrachen.<br />
Sie befragten ihn, der mit seinem unsichtbaren<br />
Auge sah, was da auf die Menschheit<br />
zukam. Doch statt zu antworten in großen<br />
<strong>SpecFlash</strong> - das Portal in eine parallele Realität<br />
Worten, die den Bürgern doch nichts gesagt<br />
hätten, setzte er sie in die Tat. Und er bestieg<br />
einen Berg weit außerhalb der Zivilisation und<br />
erklomm seinen Gipfel, wo er der Blitzableiter<br />
war für alles Übel, das dem Planeten Oberach<br />
und seinen Bewohnern von den mörderischen<br />
Heerscharen der vandalischen Sternennomaden<br />
drohte. Und es schlug der Blitz in ihn ein und<br />
tötete ihn, aber sein Opfer rettete die Welt, denn<br />
die Blitze zogen weiter und ließen Oberach<br />
fortan unbehelligt. Und seitdem wird Nuanga<br />
Baar wie ein Heiliger verehrt, und man hat ihm<br />
ein Denkmal gesetzt, das größer und prächtiger<br />
ist als jedes andere von Menschenhand errichtete<br />
Bauwerk auf diesem Planeten. Es ist ein<br />
Monument für die menschliche Größe eines<br />
Einzelnen und die Demut eines ganzen Planetenvolkes.<br />
Kein Oberacher, der nicht wenigstens<br />
einmal in seinem Leben zum Grabmal des<br />
Nuanga Baar pilgerte.<br />
*<br />
Ich konnte von meinem Raumschiff den Berg<br />
mit dem Denkmal auf seinem Gipfel sehen. Es<br />
war aus einer Legierung gegossen, die die Sonnenstrahlen<br />
in allen Farben des Spektrums<br />
reflektierte, sodass es am Tage wie ein riesiges<br />
Juwel funkelte und nachts wie im magischen<br />
Feuer geheimnisvoll leuchtete.<br />
In einer gefilterten Bildschirmvergrößerung war<br />
zu erkennen, dass das zweihundert Fuß hohe<br />
Denkmal einen hohlwangigen Jüngling darstellte,<br />
der zu den Sternen hochblickte und mit<br />
einer schmalen Hand einen Blitz einfing. Es<br />
drückte genau jene Stimmung aus, die die<br />
unzähligen Legenden nicht in Millionen von<br />
Worten einzufangen vermochten: Angst. Zumindest<br />
hatte ich den Eindruck, dass all das Feuer<br />
der Lichtreflexionen den Ausdruck von Furcht