kurzgeschichte - SpecFlash
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62<br />
<strong>kurzgeschichte</strong><br />
muster auf dem Teppich um ihre Füße schlängelte<br />
und sie aufhalten wollte. Noch schlimmer<br />
aber war der Atem, der aus ihr presste, denn<br />
jener war laut wie ein Schrei; Edward konnte ihn<br />
unmöglich überhören, auch nicht über das<br />
Scheppern, das er beim Kochen heraufbeschwörte.<br />
Dennoch erreichte sie die Tür. Er wird mich nicht<br />
töten. Beinahe hätte sie vor Erleichterung aufgelacht.<br />
Sie drückte die Klinke nach unten und<br />
zog die Haustür auf. Ein dumpfer Schlag. Die Tür,<br />
sie klemmte. Marie riss an ihr, einmal, zweimal,<br />
dreimal, und immer hielt irgendetwas die Tür<br />
davon zurück, sich mehr als einen Spalt breit zu<br />
öffnen.<br />
Erst als sich eine Hand in ihre Schulter krallte,<br />
erstarben ihre Bemühungen. Nein. Sie formte<br />
das Wort mit ihren Lippen. In einer stockenden<br />
Bewegung drehte sie sich um, und ihr Blick<br />
verfing sich in dem hysterischen Lachen seiner<br />
Augen.<br />
»Was machst du denn?« Sie hörte ihn kaum<br />
durch das Rauschen in ihren Ohren.<br />
»Ich«, begann sie und kratzte sich den Nagellack<br />
von den Fingern, »ich wollte … nur meinen<br />
Regenschirm aus dem Wagen holen.«<br />
»Warum denn das?«<br />
»Weil ich nicht nass werden will.« Lachen, und<br />
wieder zeigten sich seine Fangzähne.<br />
»Aber die Sonne scheint doch.«<br />
Die Welt verschwamm; das Sofa im Hintergrund,<br />
der grinsende Edward davor. Sie stützte sich an<br />
der Wand ab.<br />
»Der Schirm ist für später. Ich glaube, es regnet<br />
heute noch.«<br />
Er beugte sich zu ihr. Der Duft, der sie eingefangen<br />
hatte, war abwesend. Stattdessen umgab<br />
ihn der Gestank nach Schweiß und Blut, und<br />
Kadavern.<br />
<strong>SpecFlash</strong> - das Portal in eine parallele Realität<br />
»Na, wenn du das glaubst, dann lass uns schnell<br />
deinen Schirm holen«, sagte er schließlich und<br />
entfernte die Sicherung an der Tür. Die hatte<br />
also ihre Befreiung verhindert.<br />
Er nahm sie an der Hand und sie fühlte sich dabei<br />
wie ein Kleinkind, das von seinem Vater behütet<br />
wird. Nur, dass er sie nicht beschützen wollte,<br />
sondern umbringen. Sie verließen die Wohnung,<br />
und er führte sie durch den Flur ins Freie, wo<br />
niemand zu sehen war.<br />
Aber wenn ich um Hilfe schreie, überlegte sie,<br />
wird mich jemand hören. Hier schlummerten<br />
genug Wohnungen um sie herum, mit einem<br />
Hilferuf könnte sie einige davon wecken.<br />
Und dann?, drängte sich ihr Verstand dazu.<br />
Alle werden mich für verrückt halten. Sie würde<br />
den Leuten keine Erklärung für ihren Hilfeschrei<br />
geben können, außer, dass sie einen roten Fleck<br />
in seinem Buch entdeckt hatte.<br />
Wäre nicht diese Gewissheit von Todesgefahr in<br />
sie geschlüpft, sie hätte sich selbst für verrückt<br />
gehalten. So aber wusste sie, dass mit jeder<br />
verstrichenen Minute die Chance schwand,<br />
diesen Tag zu überleben.<br />
»Willst du jetzt denn nicht deinen Schirm<br />
holen?«<br />
Sie zuckte zusammen, und ein Zittern breitete<br />
sich über ihren Körper aus.<br />
»Mir ist gerade was eingefallen.«<br />
»Und das wäre?«<br />
»Ich habe überhaupt keinen Regenschirm<br />
dabei.«<br />
»Oh.« Seine Mundwinkel zuckten, als ob er<br />
versuchte ein Grinsen zu unterdrücken. »Dann<br />
lass uns schnell wieder reingehen, bevor das<br />
Essen verkohlt. Das ist mein letztes Stück Fleisch<br />
da auf der Pfanne. Danach« – Funkeln in seinen<br />
Augen – »muss ich mir neues besorgen.«<br />
»Okay«, gab sie sich geschlagen und ließ sich von<br />
ihm in seine Wohnung abführen. Die Topfpflan-